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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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etwas in Gang gesetzt haben, an dessen Ende sein grausamer Tod stand.
    Brock hatte sich intensiv mit dem Opfer beschäftigt. Der Mann war geschieden, hatte zwei Kinder, die sich irgendwo in Westdeutschland herumtrieben und ihn nicht sonderlich beweint hatten – natürlich waren sie über die Todesumstände schockiert gewesen, aber die Verbindung zum Vater bezeichneten beide als nicht besonders eng. Auch seine Ehegattinnen hatten längst ein eigenes, wahrscheinlich freudvolleres Leben begonnen als das, was sie an seiner Seite geführt hatten. Leyendecker suchte ein, zwei Mal im Jahr das Abenteuer in der großen Stadt, ging dabei aber nicht sehr beherzt vor. Als Brock sich die letzten achtundvierzig Stunden im Leben dieses Mannes noch einmal vornahm, gab er sich selbst das Versprechen, sich lieber von einem einsamen Berg auf den Äolischen Inseln zu stürzen, als dem Leben jenen matten Abklatsch von vermeintlichen Reizen abzutrotzen, um die auch Leyendecker nur halbherzig gerungen hatte.
    Sogar gegen den Besuch der Prostituierten hat er sich entschieden, dachte er. Hatte Leyendecker spät erkannt, dass das Abenteuer nicht käuflich war? Hatte es einen schalen Geschmack bekommen? Brock wurde bewusst, dass dieses Leben, das Rubin ausgelöscht hatte, sie in all seiner erbärmlichen Langeweile mit irgendeinem Detail bis aufs Blut gereizt haben musste.
    Werner Leyendecker, 64. Geboren in Schönwerda, Sachsen. Hauptschule. NVA . In Berlin den antifaschistischen Schutzwall samt Weltfrieden mit der Waffe verteidigt, später Werkzeugmacher, dann Vertreter. Arbeitslos seit Mitte der Neunziger, dann Frührentner.
    Unauffällig, keine Vorstrafen. Die Kriminalpolizei hatte alles zusammengetragen, was sie finden konnte. Leyendecker lebte zurückgezogen wie viele ältere, alleinstehende Männer, die das Knüpfen und Pflegen sozialer Netze ihren Frauen überlassen hatten. Die Nachbarn kannten ihn kaum, aber das lag nicht an ihnen. Leyendecker weigerte sich, Päckchen für sie anzunehmen. Er stand oft am Fenster und beobachtete das Treiben auf der Straße, grüßte aber selten.
    Gedämpft durch mehrere Türen hörte Brock den Gong. Er sah auf seine Schreibtischuhr. Kurz vor neun.
    Es klopfte. Saaler steckte den Kopf durch den Türspalt.
    »Sie sind da.«
    »Danke. Ich komme gleich.«
    Er schob die Unterlagen zurück in den Hängeordner. Ihm durfte kein Fehler passieren. Nicht noch einmal.
    Jeremy stand im Hausflur. Er wunderte sich, dass er nach dem Klingeln nur die Schritte einer einzelnen Person auf der Treppe hörte. Leichtfüßige Schritte, sportlich, tänzelnd, und noch bevor sie den letzten Absatz der Treppe erreicht hatte, wusste er, wer es war. Damit hatte er nicht gerechnet.
    »Hi, Jeremy.«
    Cara Spornitz trug Weiß. Weiße Jeans, weiße Bluse, weiße Slipper. Trotzdem sah sie nicht aus wie eine Krankenschwester. Das lag wahrscheinlich daran, dass ihre Kleidung saß wie eine zweite Haut. Die Taille wirkte fast zerbrechlich schmal, die umgekrempelten Hosenbeine endeten kurz über den zart gebräunten Fesseln. Ihr Lächeln war bezaubernd, und der Duft, der sie umgab, verwandelte das Treppenhaus in eine frische Blumenwiese. Klarheit, Reinheit und Verführung. Jeremy erlag diesem unwiderstehlichen Dreiklang augenblicklich.
    »Cara?«
    Sie lief auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Ich bin … also … etwas verwirrt«, stammelte er. Sein Herz jagte vor Freude und Aufregung. Sie hatte es sich anders überlegt und war gekommen. Natürlich wegen ihrer Schwester. Vielleicht aber auch …
    »Es tut mir leid. Ich habe mich unmöglich benommen. Das ist sonst nicht meine Art.«
    »Schon okay«, antwortete er. Ihre überraschende Gegenwart lähmte ihn, machte ihm das klare Denken beinahe unmöglich. Ließ ihn für einen Moment vergessen, mit welchen Worten sie ihn abserviert hatte.
    Sie spähte an ihm vorbei in die Praxis. »Ist sie schon da?«
    Nach der jähen Freude kam die Ernüchterung. »Nein. Sie müsste jeden Moment kommen. Hör mal, das geht leider nicht.«
    »Was?«
    »Ich weiß nicht, ob das geht. Du musst dich an die Untersuchungshaftanstalt wenden und eine Besuchsgenehmigung beantragen.«
    »Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und da soll ich sie im Knast besuchen? Als du mir gesagt hast, wann sie das nächste Mal bei euch ist, klang das für mich wie eine Einladung.«
    Jeremy fühlte, wie das Erkennen seiner eigenen Fehler und deren Häufung ihn langsam überforderten. Er hörte, wie das Parkett im Flur

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