Das Dorf der Mörder
Mülleimerdeckel öffnete sich automatisch. Sie sah versteinerte Brotreste, eine zusammengedrückte Milchtüte und eingetrocknete, benutzte Teebeutel.
»Ich … lassen Sie mich überlegen.« Sie ließ das Handy sinken und öffnete eine Besteckschublade. Sie holte eine Gabel heraus und fischte nach einem der Teebeutel. »Ich glaube, ich hab was gefunden.«
»Frau Beara … wo sind Sie?«
»Also, um ehrlich zu sein, in Charlotte Rubins Bungalow auf dem Tierpark-Gelände.« Schweigen. War wahrscheinlich kein gutes Zeichen. Vorsichtig legte sie den Teebeutel auf der Arbeitsplatte ab.
»Was tun Sie da?«, klang Gehrings Stimme gepresst an ihr Ohr.
»Psychologisch gesehen arbeite ich gerade mein Trauma auf. Ich wollte noch einmal an den Ort, an dem ich niedergeschlagen wurde. Das ist wichtig für mich, hat mir der Arzt gesagt.«
»Welcher Arzt?«
»Mein Arzt. Er meinte, ich müsste zurück an den Ort des Geschehens. Und da bin ich.«
»Sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie eingebrochen sind.«
»Hören Sie, ich …«
»Nein! Jetzt hören Sie! Das hat Konsequenzen! Verstehen Sie mich? Es reicht! Bis jetzt habe ich Sie noch halbwegs ernst genommen, aber damit ist nun Schluss. Sie verlassen sofort den Tierpark. Haben Sie eine Vorstellung davon, was Sie sich, den Kollegen, der ganzen Ermittlung damit gerade antun?«
»Sie trinken Kaffee, nicht wahr?«
»Jetzt hören Sie endlich mit diesem running gag auf!«
»Charlotte Rubin trinkt Tee. Nur Tee. Sie hat zwar Kaffee im Haus, aber der ist nur für Gäste.«
»Und?«, brüllte Gehring.
»In der Nacht von Leyendeckers Tod hat sie sich Tee gekocht. Und Kaffee für einen Gast. Die Reste sind noch in der Maschine. Sie müssen die Spurensicherung nochmal herschicken. Es war eine zweite Person in diesem Haus. Vielleicht finden sich noch Fingerabdrücke an der Kanne oder einem Becher.«
»Ich fasse es nicht.«
»Ihr Besuch muss auf der Couch geschlafen haben. Zumindest einige Stunden haben die beiden hier gemeinsam zugebracht. Sie sind kein Paar. Rubin hat allein geschlafen, sofern sie überhaupt ein Auge zugemacht hat.«
»Raus da.«
»Diese zweite Person hat Charlotte Rubin geholfen, mindestens. Ich gehe sogar noch weiter. Diese zweite Person war die treibende Kraft hinter dem Mord. Ich habe mit Charlotte Rubin gesprochen, erinnern Sie sich?«
»Sie verlassen sofort dieses Haus!«
»Sie wollte jemanden schützen. Jemand, der ihr sehr nahestand. Hier wohnte eine Frau, die nie Besuch hatte. Nur in der Mordnacht war sie nicht allein.«
Stille.
»Hallo?«
Gehring hatte aufgelegt. Sanela steckte das Handy ein und verließ das Haus. Sie beschloss, das Gelände durch die Wirtschaftszufahrt zu verlassen und nicht noch einmal durch den ganzen Park zu gehen. Als sie die Futtertierzucht passierte, war sie versucht, einen Blick hineinzuwerfen und nachzusehen, wer Rubins Job nun übernommen hatte. Dann ließ sie es bleiben. Sie hatte schon genug Schaden angerichtet.
Und das war gut so. Gehring musste etwas unternehmen. Er konnte ihren Anruf nicht ignorieren. Die Spurensicherung würde Beweise finden, dass Rubin in der Tatnacht nicht allein gewesen war. Wen schützte sie? Für wen nahm sie all das auf sich? Einen Prozess, ein Gutachten, eine Verurteilung, die sie mindestens fünfzehn Jahre hinter Gitter bringen würde.
Sanela Beara beschloss, noch einen weiteren Tag unpässlich zu sein.
18
G abriel Brock war über den offiziellen Verlauf von Saalers Mission unterrichtet. Den inoffiziellen konnte er sich denken. Die beiden waren sich nähergekommen, und es hatte nicht gut geendet. Saaler machte sich natürlich Vorwürfe, aber solange Brock nicht wusste, was vorgefallen war, konnte er ihm auch nicht helfen.
Nur eins war klar: Cara Spornitz lehnte jede Zusammenarbeit ab. Ihre Abneigung gegen Charlie schien tief verwurzelt und unüberwindlich. Im Gegensatz zu ihr war Brock jedoch überzeugt, dass Charlies Selbstmordversuche ernst gemeint waren.
Er hatte es geahnt und befürchtet. Charlotte Rubin war in einer ausweglosen Situation. Sie stand in der Pflicht, sich für ihre Tat zu rechtfertigen, und sie tat alles, um das zu verhindern. Schlimmstenfalls würde sie sich selbst zum Schweigen bringen.
Brock glaubte auch nicht an die Hypothese, dass sie ihr Opfer willkürlich ausgesucht hatte. Er zog mittlerweile in Betracht, dass es eine Verbindung zwischen Rubin und Leyendecker gegeben hatte. Dafür war es nicht zwingend notwendig, dass sie sich kannten. Aber Leyendecker musste
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