Das Dorf in den Lüften
Wipfel bis hundertfünfzig Fuß in die Luft. Zwanzig bis dreißig Meter Höhe erreichten gewisse Arten aus der Familie der Euphorbiaceen mit stachlichen Zweigen, sechs bis sieben Zoll langen Blättern, die mit einer Schicht eines milchähnlichen Stoffes überzogen sind, und deren Nüsse nach erlangter völliger Reise krachend zerspringen und aus ihren sechzehn Abtheilungen den Samen nach allen Seiten hinausschleudern. Hätte Khamis nicht den Instinkt der Orientierung besessen, so würde er sich bezüglich der Himmelsrichtungen haben nach dem merkwürdigen
Sylphinum lacinatum
belehren können, einer Pflanze, deren Blätter sich immer in der Weise drehen, daß sie die eine Fläche nach Westen, die andere nach Osten wenden.
Ein in diesem tiefen Urwalde verirrter Brasilianer hätte sich für versetzt in die jungfräulichen Wälder des Amazonenstromgebietes halten müssen. Während Max Huber über das den Boden bedeckende Zwerggebüsch wetterte, bewunderte John Cort aufrichtig den grünenden Teppich, in dem es von Phrynien und Aniomen wimmelte und worunter wohl zwanzig Arten von Farnkraut vorkamen, denen man sorglich aus dem Wege gehen mußte. Und welche Mannigfaltigkeit von Bäumen mit hartem und weichem Holze! Die zweiten vertreten – wie Stanley in seiner »Reise durch den finstern Theil Afrikas« bemerkt – die Fichte und die Weide nördlicherer Zonen. Aus ihren großen Blättern allein errichten sich die Eingebornen Hütten für die Rastzeit von einigen Tagen. Daneben enthält der Wald aber in großer Zahl Tekeichen, Acaju-und Eisenbäume, die nie verfaulenden Campechebäume, Copale von prächtigem Wuchs, weit verzweigte Mangobäume, Sykomoren, die mit den schönsten des östlichen Afrikas hätten wetteifern können, wilde Orangenbäume, ferner Feigenbäume, deren Stamm so weiß erglänzte, als ob er mit Kalkmilch bestrichen wäre, wahrhaft kolossale »Mpasus« und andere Bäume der verschiedensten Art.
Diese vielfachen Kinder des Pflanzenreiches standen auch nicht so dicht, daß sie die Entwicklung ihrer Aeste gegenseitig hätten hindern können, die andererseits das warme und feuchte Klima außerordentlich begünstigte. Sogar die Wagen einer Karawane hätten wohl zwischen den Stämmen hindurchfahren können, wenn nicht bis fußdicke Kabel von einem zum anderen ausgespannt gewesen wären, d. h. endlose Lianenstränge, die sich wie Schlangen um die Baumschäfte wanden. Nach allen Seiten verbreitete sich eine Art Guirlandenbehang der Aeste, von dem man sich kaum eine Vorstellung machen kann, hier launenhaft verlaufende Strähne, dort ununterbrochene Laubgewinde von den Baumkronen nach dem Gesträuch darunter. Auch nicht ein Zweig, der nicht mit einem anderen irgendwie verbunden gewesen wäre! Kein Stamm ohne lange Pflanzenketten, von denen manche wie blühende Stalaktiten zur Erde herabhingen! Keine runzlige Rinde, die nicht mit dichtem, sammetweichem Moose gepolstert gewesen wäre, in dem sich Tausende von Insekten mit goldgetüpfelten Flügeln tummelten!
Und aus den geringsten Anhäufungen dieses Laubgewirres ertönte ein Concert von Zwitschern und Zirpen, von Schreien und Singen unausgesetzt vom Morgen bis zum späten Abend.
Der Gesang rührte von Myriaden von Schnäbeln her, die sich in Rollertönen und Nachtigallenflöten überboten oder die das verschiedenste Pfeifen hervorbrachten, das lauter und schriller ertönte, als die Pfeife des Hochbootsmannes auf einem Kriegsschiffe. Daneben wurde man noch völlig betäubt von der geflügelten Welt der Papageien, Wiedehopfe, Eulen, Amseln, der fliegenden Eichhörnchen, Zwergpapageien und Ziegenmelker, abgesehen von den Mückenvögeln, die einem Bienenschwarm ähnlich in den oberen Zweigen summten.
Für das Geschrei sorgte eine Affengesellschaft; das bestand aus einem lärmenden Accord von Pavianen mit grauer Behaarung, von beschopften Koloben, Schimpansen, Mandrillassen und Gorillas, letztere die stärksten und gefährlichsten Affen der afrikanischen Fauna. Die Vierhänder hatten, obwohl sie in großer Zahl vorhanden waren, bisher noch keine feindlichen Absichten gegen Khamis und dessen Begleiter verrathen; offenbar waren das die ersten Menschen, die sie im Innern dieses Waldes Centralafrikas erblickten. Man durfte nämlich gern glauben, daß sich noch keine menschlichen Wesen in dieses Baumdickicht gewagt hatten. Die Affen betrachteten jene deshalb mehr mit Neugierde, als daß sie über den Anblick in Wuth geriethen. In anderen Theilen des Congogebietes und
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