Das Dorf in der Marsch
Knochenfragmente sind bereits mit einem Kurier unterwegs zur Rechtsmedizin in Kiel.«
Es war bewundernswert, mit welcher Akribie die Frauen und Männer dieser Suche nachgingen. Die Begleitumstände waren mehr als schwierig. Doch niemand beklagte sich. Und erfolgreich waren sie auch. Mit den gefundenen Knochen konnte man im Idealfall über die DNA den Nachweis erbringen, dass es sich um Michael Witte handelte. Und bestand zuvor noch ein â wenn auch nur geringer â Verdacht, dass Witte noch leben könnte und sich aus irgendwelchen Gründen versteckt hielt, so würde dann Gewissheit bestehen, dass er tot war. Zumindest Christoph hatte keinen Zweifel daran. Den endgültigen Nachweis würde die Rechtsmedizin erbringen. Doch das würde noch Tage dauern.
GroÃe Jäger klopfte Jürgensen auf die Schulter.
»Ihr seid schon tolle Burschen«, sagte er anerkennend.
»Und Mädchen«, erwiderte der kleine Hauptkommissar und konnte sich nicht verkneifen »alter Macho« anzufügen.
Auch wenn das Blut an der Axt, die sie bei Michelsen sichergestellt hatten, von Witte stammte, war immer noch nicht geklärt, welche Verletzungen sich der Elektriker am Porrendeich bei der Befreiung aus dem Schuppen zugezogen hatte.
Wenig später fuhren sie vor dem Haus Günter Wychzeks vor. Es lag ruhig und friedlich hinterm Deich. Christoph atmete tief durch. Er liebte die würzige reine Luft, die weit weniger mit Schadstoffen belastet war als in anderen Gegenden. Es war kein Zufall, dass die Statistik für die Bewohner Nordfrieslands einen weit unterdurchschnittlichen Wert für Atemwegserkrankungen zeigte.
Sie mussten eine Weile warten, bis ihnen geöffnet wurde. Bärbel Lattmann sah sie mit groÃen Augen an.
»Ja?«, fragte sie und drückte mit diesem einen Wort ihr ganzes Erstaunen aus.
»Wir würden uns gern noch einmal mit Ihnen unterhalten«, sagte Christoph.
»Mit mir? Ich habe doch schon alles gesagt, was ich weiÃ.«
»Nicht alles, Frau Lattmann. Es geht um Ihr Verhältnis zu Roger Gaultier.«
»Um mein ⦠was?« Erschrocken drehte sie sich um und sah über die Schulter. »Ich schwöre, ich habe â¦Â« Sie brach mitten im Satz ab.
»Das nehmen wir jetzt als Redewendung«, mischte sich GroÃe Jäger ein. »Wenn Sie solche Beteuerungen an der falschen Stelle ablegen, kann man es als Meineid auffassen. Das wird nach Paragraf 154 des Strafgesetzbuches mit einer Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahr geahndet.«
Christoph unterlieà es, die verkürzte Fassung, die der Oberkommissar vorgebracht hatte, zu korrigieren.
Noch einmal vergewisserte Bärbel Lattmann sich, dass niemand zuhörte.
»Das ist alles ganz anders, als Sie denken«, erklärte sie.
GroÃe Jäger lachte auf.
»Das ist eine abgedroschene Floskel aus den Rosamunde-Pilcher-Filmen, wenn die Gräfin ihren Herrn Gemahl in flagranti erwischt.«
Christoph schenkte seinem Kollegen einen amüsierten Blick. Er nahm sich vor, GroÃe Jäger zu fragen, woher er diese Art Filme kannte.
»Wir wissen, dass Herr Gaultier sich sehr um die Gunst der Frauen im Dorf bemüht hat, und zwar erfolgreich.«
»Das ist Gerede«, sagte sie schnell. »Ich habe davon gehört, dass man ihm so etwas nachsagt. Roger hat mir selbst gesagt, geschworen hat er es, dass da nie was mit einer anderen gelaufen ist.«
»Wie war das mit dem Meineid?«, warf GroÃe Jäger ein.
Christoph verstand die ironisch gemeinte Anspielung, aber Bärbel Lattmann bezog es auf sich. Sie flüsterte so leise, dass es kaum zu verstehen war.
»Es ist mir auÃerordentlich peinlich.« Ein Rotschimmer zog über ihr Gesicht. »Ich wollte es nicht. Aber irgendwie bin ich doch schwach geworden.«
»Waren Sie mit Gaultier intim?«, hakte Christoph nach.
Sie sah ihn an. Ihre Lippen bebten leise.
»Wir werden diese Frage so oft stellen müssen, bis Sie sie korrekt beantwortet haben«, sagte Christoph mit Nachdruck. »Es geht dabei auch um Ihr Wohlergehen. Es ist von grundlegender Bedeutung, die Wahrheit zu sagen.«
»Muss ich wirklich davon erzählen?« Sie wirkte wie ein Schulmädchen, das bei einer Untat erwischt wurde und überlegt, ob Leugnen helfen könnte.
»Mit welchen Argumenten hat Gaultier Sie gefügig gemacht?«, fragte Christoph. Dabei dachte er an Gesine Witte, die dem Werben
Weitere Kostenlose Bücher