Das Dorf in der Marsch
Christoph knapp. »Wo haben Sie die Zeitung denn hergehabt? Abonniert haben Sie die Husumer nicht.«
Wychzek sah ihn überrascht an.
»Das haben wir inzwischen festgestellt«, fuhr Christoph fort. Christiansen, der Leiter des Husumer Verlagshauses, hatte es ihnen an diesem Morgen bestätigt.
Wychzeks Unterkiefer mahlte. »Man kann die Zeitung auch kaufen.«
»Sicher«, bestätigte Christoph im Plauderton und wandte sich an Bärbel Lattmann.
»Wer von Ihnen geht morgens zum Bäcker?«
»Hier im Dorf gibt es keinen.«
»Sie wohnen hier ausgesprochen idyllisch«, fuhr Christoph fort und erntete zur Bestätigung ein Kopfnicken der Frau, während sich Wychzeks Miene zusehends verfinsterte. »Nur dass man morgens keine frischen Brötchen bekommt â¦Â«
»Ach, halb so schlimm«, wiegelte Bärbel Lattmann ab. »Wir haben uns mittlerweile an die Aufbackbrötchen gewöhnt. Den Unterschied schmecken wir schon gar nicht mehr.«
»Und die gab es auch am Montag?«
»Die gibt es immer.«
»Du solltest deinen Mund halten«, herrschte Wychzek sie an.
Erschrocken sprang sie von der Stuhllehne auf.
»Normalerweise gefällt es mir nicht, wenn man eine Frau so anmacht«, fuhr GroÃe Jäger dazwischen. »Aber heute stimme ich Ihnen zu. Wir möchten uns mit Ihnen unterhalten.«
Der Mann kniff die Lippen wie ein trotziges Kind zu einem schmalen Spalt zusammen.
»Dann erzählen wir Ihnen etwas«, sagte Christoph. »Böhner, das Dorffaktotum, ist nicht nur in die Häuser und Schuppen in Everschopkoog eingestiegen, sondern hat auch die Post aus den Briefkästen gestohlen.«
»Sie können einen noch so sauberen Kopf haben, mit ein wenig Pech nistet sich dort eine Laus ein. Die hier hieà Böhner.«
Christoph nickte versonnen. »Ich kann Ihren Ãrger über den Mann verstehen. Sie haben dringend auf eine wichtige Nachricht aus dem Medizinlabor gewartet. Da wird jede Stunde der Ungewissheit zur Qual. Und dann fängt Böhner die Post ab.«
»Dieser dreckige Hund. Das war die Hölle. Diese Warterei.«
»Nicht nur das«, fuhr Christoph fort. »Er öffnete den Brief und erfuhr von Ihrem Leiden.«
Wychzek sah auf seine Finger, als müsse er prüfen, ob sie manikürt werden müssten.
»Mit diesem Wissen ging Böhner hausieren. Das ist Mobbing pur, wenn die Nachricht durch den Ort eilt, dass jemand impotent ist.«
»Eine Schmach«, gestand Wychzek kleinlaut. »Da machen sich alle drüber lustig.«
»Und Böhner â¦Â«
»Der ist mit diesem Wissen sofort zu Witte geeilt. Der Bürgermeister und seine beschränkte Frau Gesine«, unterbrach Wychzek Christoph, »haben Böhner manchmal etwas zugesteckt, wenn er kleine Handreichungen für den Elektriker ausgeführt hat.«
»Witte hat ihn mit auf Montage genommen?«
»Natürlich nicht. Witte hatte nicht viel in der Birne, aber so bescheuert war er auch nicht. Böhner hat manchmal rund um das Haus etwas erledigt. Rasen gemäht. Holz gehackt. Irgend so ein Mist. ScheiÃdörfler. Jeder GroÃstädter weiÃ, dass man Tauben und Ratten nicht füttern darf, wenn man sie vertreiben will.«
»Und dann?«
Wychzek holte tief Luft und blies die Wangen auf. Er wartete, bis er erschöpft ausatmen musste, um gierig neuen Sauerstoff in die Lungen zu pumpen.
»Böhner ist zu Witte gelaufen und hat ihm von meinem, äh ⦠Missgeschick erzählt. Der hat mich sofort darauf angesprochen. Immer wieder sehe ich sein grinsendes Gesicht. âºKannst nicht mehr, Wychzek? Habe einen heiÃen Tipp für dich. Schick deine Frau zu Gaultier. Der erledigt den Job für dich.â¹Â«
»War es Schadenfreude?«, fragte Christoph. Konnten Menschen, die nach auÃen ganz normal und bürgerlich wirkten, so gehässig sein?, dachte er im Stillen.
»Im gewissen Sinne â ja. Seine eigene Frau war auch in Gaultiers Hände gefallen. âºDann muss der Maler sich nicht mehr an Gesine heranmachenâ¹, hatte Witte mir ins Gesicht gesagt. âºDa du deine Pflichten nicht mehr erfüllen kannst, soll Gaultier Bärbel beglücken. Er nimmt dir ja nichts weg.â¹ Ich hätte nicht gedacht, dass Witte so ein Fiesling ist. Als er zu Gaultier hin ist und ihn verprügelt hat, hat er ihm auch erzählt, dass Bärbel nun zur Verfügung stehen
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