Das Dorf in der Marsch
hier veranstalten.«
»Wir haben unsere Gründe.«
»Das wird teuer«, erwiderte der Landwirt.
Stimmt, dachte Christoph stumm. »Hier im Dorf bleibt doch nichts geheim«, begann er stattdessen vorsichtig.
»Wir beteiligen uns nicht am Tratsch. Nicht wahr?« Dabei sah Reimers seine Mutter an.
Mariechen Reimers nickte eilfertig.
»Wie viele Kinder gibt es in Everschopkoog?«, fragte Christoph.
»Ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
»Beantworten Sie einfach meine Frage. Oder wissen Sie das nicht?«
»Doch, natürlich. Hier ist alles übersichtlich. Wir sind eine sehr kleine Gemeinde. Da ist Yannick, unser Sohn. Und dann wären da noch die Kinder von Witte. Sohn Ocke und Tochter Lena.«
»Mehr nicht?«
»Nee.« Reimers warf seiner Mutter einen fragenden Blick zu. »Oder?«
»Das sind alle«, bestätigte Mariechen Reimers. »Dabei ist die Lena fast kein Kind mehr. Die hat schon den Führerschein.«
Reimers nahm erneut einen Schluck Kaffee. »Das ist unser Problem auf Eiderstedt. Ach was, auch in Dithmarschen. Junge Leute ziehen weg, weil sie hier keine Perspektive haben. Stattdessen kaufen sich Alte hier ein. So wie Wychzek oder Matuschkas.«
»Oder Gaultier«, ergänzte Christoph.
»Von dem ganz zu schweigen. Von denen arbeitet keiner mehr. Die kommen hierher, machen sich einen faulen Lenz und fordern, dass rundherum Urwald ist. Keine vertretbare Bewirtschaftung der Flächen â¦Â«
»Und keine Windenergie«, unterbrach ihn Christoph.
»Vor allem das nicht«, bestätigte Reimers. »Das stört die Optik und das Wohlbefinden dieser Leute.«
»Kann man sagen, dass ein Riss durch das Dorf geht?«, wollte Christoph wissen.
»So könnte man es bezeichnen. Aber warum haben Sie nach den Kindern gefragt?« In Reimersâ Augen lag etwas Lauerndes.
Christoph ging nicht darauf ein.
»Wie ist Witte mit Ihrem Sohn ausgekommen?«, fragte er stattdessen.
»Gut. Er hatte immer etwas für Yannick dabei, wenn er hier aufkreuzte.«
»Gibt es so viel an der Elektrik zu reparieren?«, staunte Christoph.
»Das nicht. Aber in einem Dorf spricht man über manches. AuÃerdem bin ich sein Stellvertreter im Amt des Bürgermeisters.«
»Also kam Witte öfter auf Ihren Hof?«
»Ja. Schon.« Reimers spitzte die Lippen. »Witte konnte mit Kindern umgehen. Kaum stieg er aus seinem Auto, tollte er schon mit Yannick herum.«
»Wie sah das aus?«
Reimers überlegte kurz. »Fangen. Wenn Witte den Kleinen erwischt hat, wurde Yannick durchgekitzelt.«
»Die beiden hatten also intensiven Körperkontakt?«
Reimers wurde hellhörig.
»Zielt Ihre Frage in eine bestimmte Richtung?«
»Da missverstehen Sie etwas«, wiegelte Christoph ab. »Wir wollen uns nur ein Bild von Wittes Charakter machen.«
»Und dazu stellen Sie so merkwürdige Fragen?« Reimers hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengepresst.
»Das Beste wäre, Yannick würde uns selbst erzählen, was er mit Witte gespielt hat.«
»Das erlaube ich nicht. Da sollten Sie mit Karen sprechen. Die ist nicht nur die Mutter, sondern auch Lehrerin.«
»Wo finden wir Frau Brunke?«
Reimers sah auf die Armbanduhr. »Die ist noch in der Schule. In Tetenbüll.« Reimers stand auf. »Ich muss jetzt wieder«, erklärte er mit Entschiedenheit. »Der Hof macht sich nicht von allein.«
Sie kehrten zum Volvo zurück, und Christoph fuhr die schmale StraÃe Richtung Tetenbüll.
»Du hast dich eben bei Reimers nicht sehr diplomatisch verhalten«, sagte GroÃe Jäger unvermittelt. »Das kannst du besser.«
Christoph musste ihm recht geben. Auch Polizisten waren Menschen. Sie gaben sich alle Mühe, im Dienst objektiv zu sein und persönliche Regungen und Empfindungen zurückzustellen. Das gelang aber nicht immer. So brachen in Christoph die Erinnerungen an ihren letzten groÃen Fall auf, der vierzig Jahre zurückliegende Missbrauch von Kindern in Tönning. Michelsens Andeutungen hatten sie wieder geweckt. Konnte es sein, dass Witte ein heimlicher Pädophiler war? Christoph wusste, dass er gegenüber GroÃe Jäger offen reden konnte.
»Ich fühle ganz mit dir«, bestätigte der Oberkommissar. »Es klingt eigenartig, was Michelsen zu erzählen wusste. Wir haben selbst miterlebt, wie Reimers an seinem Sohn
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