Das Dorn-Projekt: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 3
des gesamten Vertragswerkes wurden gründlich geprüft.«
»Ich weiß, dass Sie in Ihrer Position wichtige Entscheidungen fällen dürfen.« Anjou lehnte sich vor, versuchte aber, sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen. »Dass Sie dem Großen Rat direkt Ihre Empfehlungen vortragen. Was halten Sie von den von uns unterbreiteten Vorschlägen?«
Mit Echt- und Fußhand spielte die angesehene Thranx mit einer Blütenknospe und bog äußerst sanft deren aufbrechende Blütenblätter zurück. »Ich liebe diese Blumen. Ich liebe ihr Aussehen, ihren Duft und besonders ihren Geschmack.« Getrübte, aber bei weitem nicht tote Augen betrachteten den Menschen, der seinerseits die Thranx beobachtete. »Wenn Sie eine dieser Blüten in Ihre Schlafkammer stellen, wird sie die Kammer mit ihrem Duft füllen - aber nur wenige Tage. Dann wird sie welken und sterben. Es wäre mir unerträglich, miterleben zu müssen, wie das momentan existierende Einvernehmen zwischen unseren Spezies durch zu viel Nähe abstürbe.«
Anjou ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Das wird nicht passieren.«
»Wird es nicht?« Die vornehme Thranx legte die noch nicht befruchtete Blüte beiseite. »Außer dass Sie diesem Abkommen zur Geburt verhelfen wollen, können Sie also auch noch in die Zukunft schauen?«
»Nein, nein, natürlich nicht! Ich wollte damit nur sagen, dass wir Sicherheitsklauseln im Vertragswerk verankert haben, die gewährleisten, dass sich niemand in die Angelegenheiten des anderen einmischt. Selbst enge Freunde müssen nicht unter ein und demselben Dach leben.«
Antennen hoben und senkten sich. »Nichts anderes wird der Rat verlauten lassen. Ich kann Ihnen bereits jetzt sagen, was die Antwort sein wird, wenn ich vorschlage, Ihren Vertrag zu ratifizieren. Ich muss es Ihnen nicht erzählen, aber ich schätze Sie, Fanielle Anjou! Und nicht nur, weil Sie Eier tragen.« Mit einer Echthand berührte sie den Unterarm der Frau. Das alte, sehr alte Chitin fühlte sich immer noch glatt und kühl an.
»Sie glauben offensichtlich fest an diese Vorschläge - sowohl aus beruflichen Gründen als auch persönlich.«
»Ich bin nicht die Einzige«, erwiderte Anjou. »Es gibt viele, die wie ich fest daran glauben, dass die Zukunft unserer beiden Spezies eng miteinander verbunden ist.«
»Und es soll nicht verschwiegen werden, dass es auch Gleichgesinnte im Stock gibt, die sich lautstark zu ihrer Meinung bekennen.« Der Körperduft der Matriarchin erfüllte die Luft, intensiver sogar als der Duft der liebevoll umsorgten Blumen überall um sie herum. »Aber sie sind nicht die Mehrheit der Stockbewohner. Und es gibt auch genügend, die zornig opponieren gegen jede Art von Vertrag mit Ihrer Spezies, der über das absolut Notwendige hinausgeht. Die Masse im Großen Stock ist unentschieden. Der Wortlaut Ihres Vertrages ist beruhigend, jedes Wort wohl bedacht, aber diese Worte sind nicht durch und durch überzeugend. Und darüber hinaus sind es eben nur Worte.« Sie langte in eine mit Stickereien verzierte Thorax-Tasche und holt ein kleines Röhrchen hervor. Sie sog tief die Luft ein, während sie das eine Ende des Röhrchens erst an die eine Reihe Stigmen hielt, dann an die andere.
»Wir müssen mit Worten beginnen.« Anjou rutschte auf ihrem Platz hin und her. »Wenn wir uns erst einmal auf bestimmte Worte geeinigt haben, können wir den Worten entsprechende Taten folgen lassen. Aber Verträge müssen Handlungen vorangehen.« Kommt bei dieser Alten überhaupt irgendetwas an von dem, was ich sage?, fragte sich die Diplomatin. Was ging nur im Kopf dieser Eint vor? Anders als bei Verhandlungen, die man mit einem Menschen von Angesicht zu Angesicht führte, war es nicht möglich herauszufinden, was in der Eint vorging, indem man ihr ins Gesicht blickte. Das Antlitz aus Chitin blieb so unbeweglich wie undurchdringlich.
»Sie tragen Ihre Argumente für Ihre Vorschläge gut vor, Sie und die, die auf Ihrer Seite stehen. Was mich betrifft, gehöre ich zu der großen, wimmelnden, hin und her wogenden Masse von Eierlegern und -pflegern, die sich noch nicht entschieden haben.« Mit einer Echthand machte die Eint eine Bewegung in Anjous Richtung, und Anjou brauchte nicht auf ihr Ikonikon zurückzugreifen, um die Bedeutung dieser Geste zu verstehen. »Drängen Sie uns zu sehr, junge Weibliche, und wir werden unsere Stollen vor euch zumauern! Dann werden uns Ihre Worte nicht erreichen können.«
Anjou mühte sich um Zuversicht. Das war nicht einfach, denn
Weitere Kostenlose Bücher