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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Ihr blieb keine Zeit, den Diebstahl zu melden. Ihre Ersparnisse hatte sie auf ein Bankkonto eingezahlt, daher war der Verlust nicht allzu groß. Odette dachte nicht daran, sich an ihrem ersten Tag in der Stadt von so etwas kleinkriegen zu lassen. Sie war auf dem Weg zu Berühmtheit, Reichtum und Ruhm. Der Verlust von ein paar Pfund, so ärgerlich er auch war, würde sie nicht aufhalten.
    Sie fand ein bisschen Kleingeld in ihrer Manteltasche und bestieg einen Bus in die Stadt. Sie hatte sich die Adresse eingeprägt, aber das hohe Gebäude, das einen ganzen Eckblock einnahm, war nicht zu übersehen. Der Haupteingang bestand aus einer gläsernen Doppeltür, auf der in Goldbuchstaben die Namen der Zeitungen und Zeitschriften aufgeführt waren, die der Australischen Zeitungsgesellschaft angehörten.
    Sie zögerte vor dem beeindruckenden und einschüchternden Portal. Vielleicht gab es einen Eingang für die Angestellten. Odette eilte um die Ecke, wo in der lärmenden, geschäftigen Ladezone Lastwagen von kräftigen Männern in Shorts und Unterhemd mit Zeitungsbündeln beladen wurden.
    Sie wandte sich an einen der Männer auf der Ladefläche eines Lastwagens. »Entschuldigen Sie, wie komme ich in das Gebäude?«, fragte sie etwas verlegen und fügte dann mit gezwungener Beherztheit hinzu: »Ich bin ein neues Redaktionsmitglied.«
    »Der Haupteingang ist um die Ecke … aber es geht schneller hier durch.« Er deutete auf den Lastenaufzug im hinteren Teil der Ladezone.
    Odette dankte ihm und rannte zum Aufzug. Sie drückte auf den Knopf, eine Klingel ertönte, und ein großer Eisenkäfig ratterte vor ihr herunter. Die Gittertüren waren schwer, und sie musste mit aller Kraft drücken, um sie öffnen zu können.
    »Halten Sie die Tür auf!« Ein großer, kräftig gebauter Mann eilte vom Parkplatz neben der Ladezone zum Aufzug und trat neben sie. Er war schon älter und trug eine dicke, dunkle Brille.
    »Drücken Sie auf neun für mich.«
    Odette drückte die kleinen weißen Knöpfe für fünf und neun. Sie wandte sich an ihren Mitpassagier. »Arbeiten Sie auch hier?«
    Er war sehr groß und schaute auf das junge Mädchen hinab. »Ja. Und Sie?«
    »Heute ist mein erster Tag.«
    »Als was?«
    »Als Volontärin«, sagte sie stolz.
    »Hm«, war alles, was er sagte, während er den Blick zur Decke des Fahrstuhls wandte.
    Als der Aufzug mit einem Ruck im fünften Stock hielt, fasste Odette an den Metallgriff, um die Tür zu öffnen, doch ihre Hand wurde von seiner großen Pranke bedeckt.
    »Lassen Sie mich das machen.«
    »Vielen Dank.«
    Odette trat aus dem Aufzug und sah sich um. Der Aufzug ratterte weiter nach oben. Sie befand sich in einem Flur, und auf der gegenüberliegenden Tür stand in Goldbuchstaben Grafikabteilung zu lesen. Langsam öffnete sie die Tür und schaute hinein. Ein Mann, dessen Gesicht hinter einem Bart verborgen, dessen Kopf aber kahl und glänzend war, sah sie über randlose Brillengläser hinweg an. Er saß über einen schräg gestellten Tisch gebeugt, auf dem große weiße Papierbogen lagen.
    »Wen suchen Sie?«
    »Den Chefredakteur Mr. Mendholsson.«
    Der Grafiker deutete mit dem Bleistift den Flur hinunter. »Zweite Tür rechts hinter der Ecke.«
    Es war ein Kaninchenbau von Gängen und Treppen, aber schließlich fand sie George Mendholssons Büro. Am Sekretärinnenschreibtisch vor seiner Tür saß niemand, also klopfte sie an die schwere, getäfelte Tür, die auf etwas Eindrucksvolleres hinwies als Fitz’ kleines Kabuff.
    »Herein.«
    Beim Eintreten bemerkte Odette dunkles Holz, Leder, gerahmte Titelseiten von Zeitungen an den Wänden und einen ausladenden Schreibtisch. Der Chefredakteur war Anfang fünfzig, das mit Silberfäden durchsetzte Haar glatt gekämmt, dazu ein gepflegter weißer Schnurrbart. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein strahlend weißes Hemd und eine dunkle Krawatte. Ostentativ sah er auf die Uhr. Er bildete sich etwas darauf ein, mit allen Ebenen seines kleinen Imperiums in Verbindung zu stehen, und das persönliche Einführungsgespräch mit jedem Volontär und jeder Volontärin war ein Ritual, auch wenn er später vielleicht nie wieder mit ihnen sprach.
    »Kein guter Anfang, Miss Barber. Pünktlichkeit gehört zum guten Benehmen, aber für einen Reporter ist sie unerlässlich. Kommen Sie in Zukunft lieber zu früh, das zahlt sich meist aus.«
    »Es tut mir sehr leid, Mr. Mendholsson, aber …«
    »Ich bin sicher, Sie haben einen guten Grund, Miss Barber, das haben

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