Das Dornenhaus
verwirrten Blick zu, kam aber ihrer Aufforderung nach, schaute nach oben, und ein breites Grinsen legte sich über sein Gesicht. »Ah, das ist ja unglaublich. Himmel, sind diese Steine echt? Das Blattgold muss auf jeden Fall echt sein.«
»Keine Ahnung. Ich habe mir immer gerne vorgestellt, dass der edelsteinbedeckte Himmel echt ist.«
Max setzte sich auf und schaute sich um. »Weißt du, es wäre schade, wenn das bekannt würde. Vandalen könnten hier eindringen, vor allem, wenn sie meinen, hier wären echte Juwelen zu holen. Nein, sie können nicht echt sein«, entschied er.
»Das war mein Geheimversteck«, gestand Odette. »Ich kann es nicht zulassen, dass es zerstört wird. Ich traue Eden Davenport und diesen Hacienda Homes einfach nicht. Mach ein paar Aufnahmen, dann gehen wir rauf zur Villa. Ich glaube nicht, dass wir reinkommen. Einmal war ich drin … vor langer Zeit, aber da hatte ich Hilfe.«
Während Max damit beschäftigt war, das Innere und Äußere des indischen Hauses zu fotografieren, saß Odette draußen im Sonnenlicht auf den Stufen, tief in Gedanken versunken. Das Gefühl, durch die Zeit zu treiben, an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit zu sein, überkam sie, und wieder spürte sie eine Präsenz. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich, versuchte ihre Gedanken auf das zu richten, was sie fühlte, in der Hoffnung, vor ihrem inneren Auge etwas Bildhaftes zu sehen.
Aber sie sah nur wirbelnde, glitzernde Lichtpunkte, als hätte ihr jemand schimmernden Feenstaub in die Augen gestreut und sie für einen Moment geblendet. Odette spürte eine leichte Berührung an der Schulter.
»Was ist, Max?« Sie drehte sich um.
Aber da war niemand.
Ein Schauer überlief sie, und sie sprang auf. »Max!«
Der Fotograf streckte den Kopf aus der Tür. »Ja?«
Odette antwortete nicht, dann sagte sie mit schwacher Stimme: »Ich glaube, wir sollten jetzt besser zur Villa hinaufgehen.«
»Gut, machen wir.« Er hängte sich den Fotoapparat über die Schulter und griff nach seiner Kameratasche.
Schweigend führte Odette ihn an den Ställen und dem Torhaus vorbei zur Hauptauffahrt, die zur Villa führte.
»Ja, da soll mich doch …« Max blieb wie angewurzelt stehen, als die volle Pracht des Hauses in Sichtweite kam. »Mir fällt bald nichts mehr ein. Mann!« Er stellte die Kameratasche ab und betrachtete staunend die großartige Villa.
Odette lächelte ihn an. »Das ist schon was, nicht? Von hier aus ist der Blick auf den Fluss und die Gärten ganz besonders schön. Da drüben sind die Molkerei, der Obstgarten und die Farm.«
Max schüttelte in stummer Bewunderung den Kopf. »Wie die damals gelebt haben müssen! Hat bestimmt ’ne Menge Geld gekostet, das alles zu unterhalten.«
»Tja, ich glaube, das wurde für sie auch immer schwieriger. Das große Haus wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Genesungsheim für Kriegsveteranen genutzt. Eigentlich ein bisschen traurig. So habe ich das Innere des Hauses auch in Erinnerung – Überreste einer prächtigen edwardianischen Inneneinrichtung, vermischt mit lauter altem Krankenhausinventar.«
»An so einem Ort würde ich schnell wieder gesund werden. Wer hat denn hier gelebt nach dem Kerl, der es gebaut hat?«
»Genau da wird die Sache etwas verwirrend. Wie in den alten Zeitungen zu lesen ist, ist seine Frau bei der Geburt ihres Kindes gestorben und er nicht lange danach. Ein Bootsunfall. Aber was genau passiert ist, muss ich noch herausfinden. Es gibt ein Foto der alten Haushälterin und einer Miss Kate MacIntyre, das während des Ersten Weltkriegs aufgenommen wurde. Das muss demnach die Tochter gewesen sein, aber was mit ihr und dem Besitz passiert ist, weiß ich nicht. Als ich als Kind herkam, stand das Haus schon seit Jahren leer, und es gab einen Verwalter, aber der ist vor einigen Jahren weggezogen, wie ich gehört habe, und seitdem wohnt hier niemand mehr.«
Max betrachtete das Haus, während sie miteinander sprachen. Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Bist du sicher, dass hier niemand wohnt?«
»Na ja … sicher bin ich nicht, warum?«, fragte Odette vorsichtig.
»Ich dachte, ich hätte am Fenster im ersten Stock einen Schatten gesehen und der Vorhang hätte sich bewegt. Ich hoffe, wir kriegen keine Schwierigkeiten wegen unerlaubten Eindringens.«
Odette schaute rasch hinauf, konnte aber nichts entdecken. »Vielleicht hast du den Geist gesehen, der mir auch schon begegnet ist.«
Sie gingen um das Haus herum und durch das
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