Das Dornenhaus
Zanana?«
In der Redaktion arbeitete Odette bis spät in die Nacht am ersten Teil ihrer Reportage über den Aufstand der Vorortbewohner gegen die Bauspekulanten, die einen Teil des historischen Erbes ihrer Heimat zerstören wollten. Die mysteriöse Herrin blieb ein Geheimnis, ein Rätsel, dessen Lösung noch gefunden werden musste.
Sie legte ihr Manuskript auf den Schreibtisch der Chefredakteurin, zusammen mit einer Auswahl hervorragender Bilder von »Allzeitbereit«, der, angesteckt von ihrem Enthusiasmus und dem Gefühl, dass Eile geboten war, Stunden in der Dunkelkammer verbracht hatte.
Als sie mit Max vor dem Heimgehen noch eine Tasse Tee trank, war Odette von einem warmen Gefühl der Zufriedenheit erfüllt. Ihr erster Schuss in der Schlacht zur Rettung Zananas war abgefeuert worden.
Kapitel zweiundzwanzig
Bangalow 1930 – 1940
D er Flur des Krankenhauses lag verlassen da. Durch den Gang, der zu Station C führte, drang ein gelegentliches Husten, das Knacken und Knirschen der Metallbetten, und zuweilen blitzte es weiß auf, wenn eine Krankenschwester vorbeieilte.
Für ein Krankenhaus war es ungewöhnlich ruhig. Aber auf Station C war es nicht die Stille erholsamer Ruhe, sanfter Erneuerung und Heilung. Es war die schreckliche Einsamkeit betäubter, von Schmerzen erfüllter Seelen, die mit dem Schwinden ihres Lebenswillens langsam der Realität entglitten. Nur ein gelegentliches Stöhnen, der Ruf nach einer Schwester, ein Klingeln, das Quietschen und Rattern des Essenswagens oder das seltene Schnattern von Stimmen durchbrachen die Stille.
Die im letzten Zimmer von Station C liegende Gestalt war so schmächtig, dass die Decke und die weißen Laken den Körper darunter zu erdrücken schienen. Das Gesicht auf dem Kissen war von Schmerz zerfurcht und zeigte einen Ausdruck der Niedergeschlagenheit und des Verlangens, von den Ketten des Lebens befreit zu werden.
Auf einem Stuhl neben dem Bett, den er so nah wie möglich herangezogen hatte, saß Wally Simpson. Er sehnte sich verzweifelt danach, dem antiseptischen Krankenhausgeruch zu entfliehen, an die Luft zu kommen und sich eine Zigarette anzuzünden. Aber er wagte nicht wegzugehen. Jeden Augenblick konnten sich die bläulichen Augenlider öffnen und ein verwirrter Blick den seinen suchen.
Die Gestalt unter der Bettdecke erzitterte leicht, und als Wally sich vorbeugte, schlug Sid Johnson verstört die Augen auf, doch der verhärtete Zug um seinen Mund entspannte sich, als er Wally sah.
»Wie geht’s dir, Kumpel? Hast ein bisschen gepennt, was?«, lächelte Wally.
»Scheint alles zu sein, was ich noch fertig kriege. Dazu hab ich dort, wo ich hingehe, noch genügend Zeit. Tut mir leid, Kumpel. Warum hast du mich nicht geweckt?«, flüsterte Sid.
»Was! Um mir von dir den Kopf abreißen zu lassen? Ich hab’s nicht eilig. Dieser Drachen von einer Oberschwester wird sich hüten, mich rauszuschmeißen. Hab ihr gesagt, ich würde hier bleiben, um mit meinem alten Kumpel zu plaudern.«
Sid hielt sich am Bettrand fest und versuchte sich aufzurichten, hatte aber nicht die Kraft dazu. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, und seine Schultern sackten zusammen. Wally stand auf, schob seine Hand unter Sids Achselhöhle und half ihm hoch.
Sid sagte nichts, bedankte sich für die Hilfe aber mit einem Nicken und glättete die blau und weiß gestreiften Ärmel seines Pyjamas.
Wally wartete, bis Sid wieder bei Atem war, dann fragte er: »Möchtest du eine Tasse Tee?«
Sid schüttelte den Kopf. Wally flüsterte ihm verschwörerisch zu: »Aber ich. Ich geh und schnorr mir eine und sag, sie wäre für dich. Bin gleich zurück.«
Beide Männer waren froh über diesen kleinen Aufschub, der eine, weil es ihn quälte zu sehen, wie viel Tapferkeit sein Freund aufbrachte, um seine Schmerzen vor ihm zu verbergen, der andere, weil er sich wünschte, seine Qual wäre nicht so offensichtlich und mitleiderregend.
Während er auf seinen Tee wartete, ging Wally rasch durch eine Seitentür nach draußen und zündete sich eine Zigarette an. Sich fröhlich zu geben, um seinen alten Freund aufzumuntern, kostete ihn große Anstrengung. Er wusste, dass Sid Nettie vermisste, die vor zwei Jahren an einem Tumor gestorben war. Innerhalb von sieben Jahren hatte sich ihrer aller Leben so dramatisch und tragisch verändert.
Und alles hatte mit Kates und Bens Unfall begonnen.
Wally war nicht mehr in einem Krankenhaus gewesen seit der furchtbaren Zeit, die er und Gladys an Kates
Weitere Kostenlose Bücher