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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Gepäckträgern tiefer lagen. Kinder mit krebsroten Gesichtern starrten uns durch die Autoscheiben an. Der Parkplatz vor dem Keverne Arms war voll besetzt, ebenso wie die Tische im Garten, zwischen denen die Bedienungen sich mit ihren Tabletts einen Weg bahnten.
    Der Garten von Thornfield House war zum ersten Mal seit Anne Brechts Tod wieder erleuchtet. Eine große, kurzhaarige Frau in Sandalen und mit Brille goss lächelnd die Pflanzen im Vordergarten, der bereits ein wenig ordentlicher wirkte als zuvor.
    »Tante Karla! Wir sind wieder da!«, rief Ellen.
    »Hallo, Ellen!«, antwortete die Frau. »Und du musst Hannah sein! Komm, ich will dir einen Kuss geben!«
    Lachend ließ ich mich von ihr umarmen.
    »Du bist ja eine richtige Schönheit!«, verkündete sie und hielt mich auf Armeslänge von sich, um mich in Augenschein zu nehmen. »Deine Freundin ist wirklich ein hübsches Mädchen, Ellen, findest du nicht auch?«
    Ellen nickte grinsend und stocherte mit der Schuhspitze im Kies.
    Über Karlas Schulter hinweg sah ich durch die offen stehende Haustür Mrs   Todd im Flur, die uns beobachtete. Tante Karla forderte Ellen auf, duschen zu gehen und sich fürs Abendessen fertig zu machen.
    Ellen umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: »Sag Jago, dass ich ihn heute Nacht nicht treffen kann. Aber morgen oder übermorgen versuche ich, nach Polrack zu fahren. Sag ihm, er soll nicht herkommen, bevor er von mir hört.«
    »Okay.«
    »Danke.« Ellen drückte mich nochmals fest. »Du bist meine beste Freundin, Hannah«, sagte sie und gab mir einen Wangenkuss. »Ich liebe dich.«

FÜNFUNDVIERZIG

    S ie war da. Ellen war da, mitten in Berlin. Sie stand auf der anderen Straßenseite und unterhielt sich mit jemandem. Auch wenn sie nicht in meine Richtung blickte, zweifelte ich kein bisschen daran, dass sie es war. Sie trug ein dunkles Sommerkleid und dunkle Schuhe und hatte die Sonnenbrille ins Haar geschoben.
    Fußgänger auf der anderen Straßenseite versperrten mir einen Moment lang die Sicht. Ich blinzelte und hielt den Atem an, bis die Passanten vorbeigegangen waren, aber Ellen stand noch immer da. Sie wandte mir jetzt den Rücken zu und betrachtete die Auslage eines Schaufensters.
    Diesmal fühlte es sich überhaupt nicht wie eine Halluzination an. Sondern völlig real. Sinnestäuschungen sahen sich keine Schaufenster an. Ganz gewiss nicht.
    Ein paar Mal ließ ich den Blick zwischen John und der anderen Straßenseite hin und her wandern.
    Nachdem die Ampel auf Grün geschaltet hatte, schwoll der Verkehrslärm wieder an, die Autos fuhren auf der Straße, aber es dauerte nicht lange, und die Ampel schaltete abermals auf Rot. Ich beschloss zu handeln. Ich fasste meine Strickjacke und meine Tasche fester, holte tief Luft und rannte los.
    Hinter mir hörte ich John rufen, aber ich blickte nicht zurück. Es bereitete mir Mühe, in meinen hochhackigen Sandaletten zu rennen, also blieb ich kurz stehen, um sie auszuziehen, aber in diesem Moment schaltete die Ampel wieder auf Grün, und die Autos fuhren auf mich zu. Ich wollte losrennen, zur Straßenmitte, wo es eine kleine Fußgängerinsel gab. Wütendes Hupen war zu hören. Ich hatte in die falsche Richtung geschaut. Wieder kam mir ein Strom Autos entgegen, diesmal aus der Gegenrichtung. Ich war verwirrt, konnte plötzlich nicht mehr erkennen, woher die Autos kamen. Einen Moment lang blieb ich einfach stehen, während sich alles um mich herum drehte, und versuchte zu entscheiden, ob ich nun vor- oder zurücklaufen sollte. Plötzlich spürte ich, wie mich jemand am Arm packte, und fand mich auf der Fußgängerinsel in der Mitte der Straße wieder. Das Gehupe war noch wütender geworden. Manche Fahrer beschimpften mich.
    »Zum Teufel noch mal, Hannah!«, sagte John, der mich an den Armen umklammert hielt. »Was ist denn in dich gefahren? Wolltest du dich umbringen oder was?«
    Ich sah ihm ins Gesicht. Sein Ausdruck war besorgt und verwirrt zugleich. Dann schaute ich zur anderen Straßenseite. Ellen war nicht mehr da.
    John war außer sich. »Du willst eine verkehrsreiche Straße überqueren, dann hältst du mitten auf der Straße an, um die Schuhe auszuziehen! Was hast du dir bloß dabei gedacht, Hannah? Bist du verrückt geworden?«
    »Ich … ich wollte …« Ich spähte über seine Schulter. Wo war sie? »Ich muss unbedingt auf die andere Seite«, sagte ich.
    »Warum denn?«
    Ich sah John wieder an. Sein Hemd hing ihm aus der Hose, und der Knoten seiner Fliege hatte sich gelöst,

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