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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Schulter zurück. Sie zog die Tür leise hinter sich zu. »Komm, lass uns gehen!«, sagte sie und hakte sich bei mir ein.
    »Was hast du denn so lange gemacht, du hast ja ewig gebraucht!«
    »Ich musste Mrs   Todd Bescheid sagen, dass ich weggehe«, sagte Ellen leichthin. »Sie ist nervös, weil Tante Karla da ist, und hat mir gar nicht richtig zugehört.«
    »Mrs   Todd nervös – das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Sie will meine Tante nicht in ihrer Küche haben. Sie sagt, sie bringt alles durcheinander.«
    Ellen runzelte die Stirn und schürzte die Lippen, und ich sah buchstäblich vor mir, wie Mrs   Todd ärgerlich die Küchenutensilien wieder an ihren angestammten Platz räumte. Ich hatte fast vergessen, wie lustig Ellen sein konnte.
    »Ich bin ja so froh, dass du wieder da bist«, sagte ich und schwang Ellens Hand in der Luft.
    »Und ich erst!«
    Wir überquerten den Friedhof und spazierten dann weiter über Felder und Wiesen. Es war ein warmer, drückender Tag, und als wir über eine Wiese mit hohem Gras und Sonnen- und Mohnblumen kamen, sagte Ellen, sie müsse sich ausruhen.
    »Geht es dir nicht gut?«
    »Ich bin nur ein bisschen müde.«
    Wir legten uns ins weiche Gras. Unzählige kleine Schmetterlinge umschwärmten uns. Ellen holte eine Plastikflasche aus ihrer Tasche und bot mir zu trinken an. Während sie eine Weile auf dem Rücken lag und die Augen schloss, streifte ich die Samen von unterschiedlichen Gräsern. Trotz der Sonne war Ellen blass im Gesicht. Ich scheuchte eine Fliege von ihrer Wange. Sie trug neue Ohrstecker. Das Goldkettchen ihrer Mutter war unter dem Kragen ihrer Bluse verborgen. Ihre Arme und Beine waren gebräunt; nur ihr Gesicht war blass.
    »Es ist so schön, im Gras zu liegen«, sagte sie schläfrig. Sie hatte einen Arm über die Augen gelegt. »Es fühlt sich anders an als das Gras in Deutschland. Es ist grüner, aber nicht so weich.«
    »Du hattest Heimweh nach unserem Gras«, sagte ich.
    Sie lachte. Dann gähnte sie und streckte die Arme über dem Kopf aus.
    »Wie geht es Jago?«
    »Gut. Er ist beim Fischen.«
    »Hat er mich vermisst?«
    »Nein.«
    Ellen riss die Augen auf.
    »Natürlich hat er dich vermisst.« Ich streute Grassamen in die Mulde an ihrem Schlüsselbein. »Wir beide haben dich vermisst. Und wie. Er hat sich schreckliche Sorgen um dich gemacht.« Ich rief mir Jagos Unruhe ins Gedächtnis, seine Angst, Ellen würde nicht wiederkommen, und wie er die ganze Zeit nur über sie geredet hatte. »Er wird wahnsinnig vor Freude sein, wenn er hört, dass du wieder da bist.«
    Ellen lächelte. Sie wischte die Grassamen weg, rappelte sich auf und streckte mir die Hände hin, um mich hochzuziehen.
    »Komm, unser Strand wartet auf uns«, sagte sie.
    Der Küstenpfad war voller Wanderer, ausgerüstet mit Wanderstiefeln, Baumwollhüten und Karten in Plastikfolien, die sie um den Hals trugen. Manche hatten einen Hund dabei. Während wir geduldig warteten, bis die Luft rein war und wir über den Zaun klettern konnten, setzte sich Ellen auf die Bank, die inmitten von lila Wiesenflockenblumen stand. Sie ließ den Kopf auf die Knie sinken.
    »Geht es dir wirklich gut?«, fragte ich erneut.
    »Ja, ja. Es ist nur so, dass mich der Flug und die lange Autofahrt von London hierher ermüdet haben«, sagte sie. »Außerdem habe ich zugenommen. Oma hat mich gemästet wie eine Weihnachtsgans, da konnte ich noch so protestieren. Die gute kornische Seeluft wird mir bestimmt guttun, dann bin ich bestimmt bald wieder die Alte.«
    Am Strand angekommen, zeigte sich Ellen erstaunt über die Dinge, die ich auf Jagos Bitte hin in unserer kleinen Höhle versteckt hatte.
    »Wozu soll das denn gut sein?«, fragte sie.
    Ich tat es mit einem Schulterzucken ab, wobei ich insgeheim stolz war auf meine großmütige Geste. »Ein kleines Zelt«, sagte ich. »Ein Schlafsack. Decken. Ein Campingkocher. Kerzen. Lebensmittel. Wasser. Damit du einen Zufluchtsort hast, falls du fliehen musst.«
    »Das wird jetzt nicht mehr nötig sein«, sagte Ellen. »Es ist alles wieder in Butter. Aber trotzdem – vielen Dank, Hannah!«
    Als wäre sie noch ein kleines Kind, hüpfte sie an mir hoch, schlang die Arme um meine Schultern und die Beine um meine Hüften und rief: »Dass du das für mich getan hast!«
    Und ich schrie: »Ja, für dich, Ellen, alles nur für dich!«
    Das Meer war an diesem Tag grün und an den Rändern gekräuselt. Die kleinen Wellen rollten weiß schäumend über den Kieselsteinstrand. Wir zogen die

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