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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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ihrer Bekannten aus der Kirchengemeinde hergestellt, der als Volontär an einer archäologischen Ausgrabung in Südamerika teilgenommen hatte. Sein Name war Ricky Wendon, und er war ein stämmiger junger Mann mit dichtem schwarzem Haar, einem lässigen Lächeln auf den Lippen und Trauerrändern unter den Nägeln. Voller Enthusiasmus erzählte er von seinem Abenteuer in Chile. Er hatte sein Studium um ein weiteres Jahr verschoben und wollte im September wieder nach Südamerika fliegen und seine Arbeit an der Ausgrabung fortsetzen. Ob ich nicht Lust hätte mitzukommen, fragte er, als wäre es das Normalste der Welt. Das Ausgrabungsteam sei in den letzten Monaten unterbesetzt gewesen, da eine Gruppe schwedischer Volontäre nach Stockholm zurückgekehrt sei. Wir gingen zusammen ins Smugglers’ Rest , wo Ricky auf einem Bierdeckel die Adresse der Organisation sowie den Ansprechpartner notierte, an den ich mich wenden sollte, um mich für die Teilnahme an der Ausgrabung zu bewerben. Ricky war nett, und ich konnte ungezwungen mit ihm plaudern. Sobald mein Glas leer war, bestellte er mir auch schon das nächste. Dass er sich weigerte, sich von mir ebenfalls einen Drink spendieren zu lassen, gefiel mir. Ich fand seine Art männlich und aufregend und fragte mich, ob ich ihn ermuntern sollte, mich zu küssen.
    Ellen und Jago lagen im Gras, ungefähr an derselben Stelle, wo sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. Der Mitsommermond schien milde am Himmel und sein silbrig blaues Licht hüllte sie ein. Ellen, die sich hellwach fühlte, fühlte sich wie eine Figur in einem Gemälde. Sie rief sich die Szene vor ihr geistiges Auge: das lange, fast schwarze Gras, das mit rosafarbenen, gelben und weißen Blumen gesprenkelt war; die Sterne, die am Nachthimmel funkelten; den Vollmond; im Hintergrund die Kirche und der Friedhof mit seinen Grabsteinen; und im Vordergrund die beiden jungen Menschen, bleich und nackt wie Adam und Eva. Ein Schauder durchrieselte sie, und Jago zog sie näher an sich. Sie spürte, wie sie an seinen kräftigen Körper gepresst wurde, und legte die Hand auf seinen Schenkel.
    »Ich bin schwanger«, sagte sie flüsternd.
    »Ich finde, Richard Wendon ist ein hervorragender Name, um einen archäologischen Fund danach zu benennen«, sagte ich.
    Ricky, ein ernster junger Mann und nicht annähernd so betrunken wie ich, nickte, auch wenn ich glaube, dass er nicht den blassesten Schimmer hatte, wovon ich sprach. Seine Wangen waren gerötet.
    »Ricardosaurus. Hört sich jedenfalls bei Weitem besser an als Hannahsaurus. Das klingt höchstens nach der Pointe eines schlechten Witzes.« Ich lachte.
    »Bisher wurde noch nichts nach mir benannt. Um ehrlich zu sein, habe ich auch noch nichts gefunden, was dringend einen Namen bräuchte«, erklärte Ricky ein wenig pedantisch. »Meine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, Sand zu sieben und die Dinge, die zum Vorschein kommen, abzuwaschen. Meistens sind es nur Felsstücke. Außerdem habe ich im vergangenen Jahr Unmengen von Kaffee gekocht.«
    »Aber immerhin warst du dabei. Du hast einen echten Dinosaurier gesehen. An dem Ort, wo er gestorben ist. Was war das noch mal für ein Saurier?«
    »Irgendein Iguanodon.«
    »Genau. Stell dir vor, du bist einer der Ersten, die ihn nach all diesen Millionen von Jahren wieder gesehen und …«
    »Also eigentlich gab es zu der Zeit noch gar keine Menschen.«
    »Das weiß ich auch! Aber wenn es welche gegeben hätte, hätten sie ihn lebend gesehen.« Ich schüttelte ehrfürchtig den Kopf.
    »Also besonders viel zu sehen gibt es da gar nicht«, sagte Ricky. »Wenn man nicht wüsste, worum es sich handelt, würde einem gar nichts auffallen. Es ist nicht besonders eindrucksvoll.«
    Ich hörte gar nicht richtig zu. Im Geiste erblickte ich ein grünes Jura-Wunderland, das von Dinosauriern durchquert wurde.
    »Hätte ich dich doch bloß drei Wochen früher kennengelernt, Ricky, dann hätte ich deine Erzählungen in meiner Biologieklausur verwerten können. Das hätte mir bestimmt eine gute Note gebracht.«
    Einen Moment lang dachte ich an die Abschlussprüfung. »Oder zumindest hätte ich die Prüfung bestanden.«
    Die Kneipe war schummrig und verraucht. Alles wirkte irgendwie krumm. Die Dielen waren verzogen, die Wände schief, und die schmale Bank, auf der Ricky saß, war so abschüssig, dass er sich in die andere Richtung lehnen musste, um nicht umzukippen.
    Der Holztisch wackelte. Ricky schüttelte eine Handvoll Erdnüsse aus der Packung und

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