Das Dornenhaus
müssen, als wüsste ich nichts.
Wenn er nicht bei der Arbeit war, verbrachte Jago neuerdings viel Zeit im Schuppen im hinteren Garten. Er fertigte irgendetwas aus Holzresten an, die er auf dem Holzplatz in St Keverne ergattert hatte. Holzspäne bedeckten den Rasen vor dem Schuppen und glänzten im Sonnenlicht wie goldene Haarlocken. Ich hob einen hoch und zerdrückte ihn zwischen den Fingern. Eines Morgens betrat ich den Schuppen. Unter einer Plastikplane stand eine Wiege aus geschliffenem und poliertem Holz. Ich fuhr mit den Fingern darüber. Das Holz war makellos glatt. Das Baby, für das die Wiege bestimmt war, sollte sich keinen Holzsplitter holen. Ich schaukelte die Wiege hin und her. Die Bewegung war völlig harmonisch, kein Quietschen und kein Ächzen waren zu hören. Es war ein wunderschönes handgefertigtes Möbelstück, und man merkte ihm an, dass Jago seine ganze Liebe für sein ungeborenes Kind hineingegeben hatte. In diesem Moment beschloss ich, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich durfte nicht länger zulassen, dass er sich auf ein Kind freute, das nie zur Welt kommen würde. Es war nicht richtig.
Später, als Jago von der Arbeit zurück war, setzte ich mich mit dem Rücken an die Wand des Schuppens und blickte auf den kleinen ordentlichen Garten meines Vaters. Trixie, inzwischen alt und steif, humpelte zu mir und legte sich mit einem Seufzer neben mich. Die Sonne hatte ihr Fell aufgeheizt, sodass es sich heiß unter meinen Fingern anfühlte. Hinter mir im Schuppen hörte ich, wie Jago schon wieder an dem Holz feilte, schnitzte und polierte. Im Geiste legte ich mir die Worte zurecht, die ich ihm sagen wollte, und als ich das Gefühl hatte, gut genug vorbereitet zu sein, holte ich aus der Küche ein Glas Fruchtsaft und ging damit in den Schuppen, um es Jago zu bringen. Er nahm seine Schutzbrille ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann griff er nach dem Glas und leerte es in einem Zug. Ich beobachtete, wie sich sein Adamsapfel beim Schlucken bewegte. Er ließ die Eisstücke am Grund des Glases klirren und fischte dann eines heraus und rieb sich damit übers Gesicht.
»Jago?«
»Hm?«
»Ellen hat mir gesagt …«
»Was hat sie dir gesagt?«
Er blinzelte. Ein rötlich brauner Bartschatten bedeckte seine Kieferpartie, und an seinem Hals waren noch ein paar Akneflecken zu sehen. Von dem Eiswürfel tropfte Wasser auf sein Hemd. Zärtlichkeit überkam mich.
»Ach, nichts«, sagte ich.
In der Hoffnung, mit Ellen reden zu können, ging ich nach Thornfield House, aber wir waren keine Minute allein. Mr Brecht wollte mit uns über die Vorbereitungen der Party zu Ellens achtzehntem Geburtstag sprechen. Sie wollte keine Party, aber ihr Vater war besessen von der Idee. Er war geradezu manisch, fragte Ellen, welches Motto sie sich für die Party, welche Dekoration für das Haus und welches Essen sie sich wünsche. Ellen war es egal. Sie machte einen halbherzigen Versuch, ein Mindestmaß an Interesse zu zeigen, aber mich konnte sie nicht täuschen. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass ihr Vater es ihr abnahm. Mr Brecht versuchte, mich vor seinen Karren zu spannen, aber ich hatte keine Lust mehr, sein Spiel mitzuspielen. Ich wollte mich nicht mehr auf seine Seite ziehen lassen. Während ich ihn beobachtete, wie er Ellen mit einem finsteren Blick bedachte, war es mir mit einem Mal schleierhaft, warum ich ihn bislang so großartig gefunden hatte. Im Vergleich zu Ricky war Mr Brecht alt. Er begann, an den Schläfen kahl zu werden, und seinen Dreitagebart und sein langes Haar fand ich lächerlich für einen Mann seines Alters. Der Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand waren gelb vom Nikotin, und er war mir zu dünn, zu aufdringlich, zu verschroben.
Obwohl er so viel Aufhebens um die Party machte, wusste niemand, was er genau plante. Es kamen keine Pakete an, und es waren keine Einladungen verschickt worden, soweit Ellen wusste. Nichts erinnerte an die aufgeregte Atmosphäre und die Geschäftigkeit, die immer geherrscht hatten, wenn ihre Eltern zusammen ein Fest ausgerichtet hatten, damals, als alles noch gut war. Statt Vorfreude verspürte Ellen eine düstere Vorahnung. Gewiss lag es an der fieberhaften Anspannung, die sie an ihrem Vater wahrnahm und die, wie sie glaubte, erst wieder nachlassen würde, wenn ihr Geburtstag vorbei wäre.
Auch um ihre bevorstehende Erbschaft machte sie sich Sorgen. Es war lange her, dass ihre Mutter ihr davon erzählt hatte. Mehr als zwei Jahre waren
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