Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
Vom Netzwerk:
nicht.
    »Und ich?«, fragte ich.
    »Gute Frage. Ich dachte, dass du uns bei Ellens Party den Rücken freihältst. Du könntest den Psycho im Auge behalten und ihn ablenken, sobald du den Eindruck hast, dass er nach Ellen sucht.«
    So hatte ich meine Frage nicht gemeint. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich kaute nervös an einem Fingernagel, aber Jago war zu aufgekratzt, um es zu bemerken.
    »Ich muss sichergehen können, dass Ellen weiß, was sie zu tun hat«, fuhr er fort. »Deswegen muss ich sie treffen, um alles genau mit ihr durchzusprechen. Sie wird zum Beispiel keine Anziehsachen mitnehmen können. Das wäre zu riskant. Aber sie könnte doch von dir ein paar Sachen kriegen, nicht wahr, Hannah? Das würde dir doch nichts ausmachen?«
    Ich wandte das Gesicht ab.
    Da merkte Jago, dass etwas nicht stimmte. Er beugte sich zu mir und küsste mich auf die Stirn.
    »Ach komm, Hannah, sei nicht traurig. Eines Tages werde ich mich bei dir revanchieren. Versprochen. Wir beide werden dir das nie vergessen.«
    Wie hätte ich ihm sagen können, dass ich nicht nur meinetwegen weinte.
    Am Abend wusch sich Jago geräuschvoll im Badezimmer. Als ich es später betrat, waren Boden und Fenstersims voller Wasserspritzer. Durch die halb offen stehende Tür sah ich, wie er sich mit dem Waschlappen das Gesicht und die Achselhöhlen wusch. Dann spülte er unter dem Wasserhahn sein wunderschönes kupferrotes Haar mit kaltem Wasser und schüttelte den Kopf wie ein Hund, der eben aus dem Wasser gestiegen ist. Mit einem Handtuch um die Schultern ging er in sein Zimmer, schloss die Tür und hörte Musik, bis unsere Eltern ins Bett gegangen waren. Um Mitternacht hörte ich ihn das Haus verlassen. Ich war krank vor Sorge um ihn, weil ich wusste, dass es nur eine winzige Kleinigkeit brauchte, und alles würde sich gegen ihn wenden. Ein Blick aus dem Fenster, ein kurzes Husten, eine knarrende Holzdiele, und Mr   Brecht würde sie erwischen, und alles wäre zu Ende.
    Ich konnte nicht schlafen.
    Als Jago keine zwei Stunden, nachdem er das Haus verlassen hatte, wieder durch die Hintertür hereinkam, war ich noch immer wach. Ich schlüpfte aus dem Bett, schlich auf Zehenspitzen an der angelehnten Tür meiner Eltern vorbei und huschte, so schnell und leise ich konnte, nach unten. Jago saß in der Küche. Bis auf seine Jeans war er nackt. Er untersuchte seinen linken Arm und die Schulter, die von Schürf- und Schnittwunden übersät waren. Er sah schrecklich aus, als hätte man ihn durch eine Dornenhecke gezerrt. In seinem Haar hatten sich Blätter verfangen, und seine Jeans, Hände und Füße waren blutig und schmutzig.
    »Was ist passiert, Jago?«, fragte ich. »Wo ist dein Hemd? Und deine Schuhe?«
    Er sah nicht hoch.
    »Der Psycho hat uns bemerkt.«
    »O Gott!«
    »Ich habe ihn kommen hören, bin aus dem Fenster gestiegen, konnte mich aber nicht festhalten und bin runtergefallen. Ich glaube …« Jago berührte eine tiefe Schramme an seinem Rücken und zuckte zusammen. »Ich glaub, er hat mich gesehen.«
    »Meinst du, er hat dich erkannt?«
    »Ich weiß nicht. Es war dunkel, aber der Bewegungsmelder hat das Außenlicht angehen lassen.«
    »Ellen …«, sagte ich leise. »Was ist mit Ellen?«
    »Er kann unmöglich wissen, dass ich bei ihr war. Wahrscheinlich denkt er, ich wollte einbrechen.«
    »Was, wenn er die Polizei ruft? Komm, lass mich das machen.« Ich nahm Jago den feuchten Wattebausch aus der Hand und tupfte den Schmutz aus seiner Wunde am Rücken. Jago zuckte zusammen.
    »Das hat er schon. Ich hab einen Umweg durch das Waldstück gemacht und gesehen, wie sich ein Streifenwagen auf der Straße genähert hat.«
    Jago stöhnte. Ich tippte ihm leicht auf die Schulter, damit er sich zu mir drehte.
    »Du hast dich ganz schön in Schwierigkeiten gebracht, Jago Cardell.«
    »Es hätte schlimmer kommen können.«
    »Schlimmer?«
    »Er hat vom Fenster aus mit dem Gewehr auf mich gezielt.«

FÜNFUNDFÜNFZIG

    J ohn breitete die Straßenkarte auf dem Cafétisch aus und besah sich die Strecke zu Schloss Marienburg. Sobald wir unseren Mittagsimbiss eingenommen hatten, machten wir uns auf den Weg.
    Die Fahrt an dem breiten Fluss entlang war wunderschön. Die Landschaft war grün und ebenso weitläufig wie in England, und vor uns breitete sich die Silhouette Magdeburgs mit seiner Mischung aus alter und neuer Architektur aus. Wir fanden auf Anhieb die Auffahrt zu Schloss Marienburg, aber es war ein Privatweg, dessen Zugang von einem

Weitere Kostenlose Bücher