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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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und hielt es vor sich hin, als wollte er es untersuchen.
    »John, vor ein paar Tagen habe ich in Bristol Charlotte und …«
    »Erzähl mir lieber noch ein bisschen von den Brechts.«
    Ich ließ langsam den Atem entweichen. Er schob das Tortenstück in den Mund. Während der ganzen Unterhaltung hatte er mich noch kein einziges Mal angeschaut.
    Ich holte tief Luft und begann dann in sachlichem Ton zu berichten, wie bei einer Nacherzählung in der Schule. »Mr   Brecht hatte schreckliche Angst, seine Frau zu verlieren, sodass er sie wahrscheinlich damit von sich forttrieb. Wenn sie nicht gestorben wäre, hätte sie einen Weg gefunden, um ihn zu verlassen. Davon bin ich inzwischen überzeugt.«
    »Und mit Ellen hat er das Gleiche versucht?«
    »Bei ihr war die Sache komplizierter. Noch krankhafter, vertrackter irgendwie.«
    Ich nahm einen Schluck Kaffee. »Was ihn bei Anne schließlich an den Rand des Wahnsinns getrieben hat, war sein Verdacht, dass sie den Mann liebte, der sich um den Garten kümmerte, Adam Tremlett.«
    »Und, war es so?«
    »Wahrscheinlich. Selbst an dem Tag, als sie starb, ist Mr   Tremlett bei ihr gewesen, während Mr   Brecht Ellen von der Schule abholte.«
    Ich stellte die Tasse auf die Untertasse und rief mir zum wiederholten Mal in Erinnerung, wie Mr   Brecht die Blumen die Treppe hinuntergeschleudert hatte. Wie ich zum Fenster hinausblickte und sah, dass Adam Tremlett am Tor stand und zu Annes Zimmer hinaufschaute und dass Peter Brecht Ellen nicht erlaubt hatte, eine andere Platte aufzulegen. Plötzlich meinte ich alles zu verstehen, und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich.
    Mit dem Löffel kratzte ich die letzten Reste meines Cappuccinos zusammen und führte ihn zum Mund.
    »Nachdem Anne gestorben war, hat Mr   Brecht in einem Wutanfall sämtliche Blumen im Garten abgeschnitten. So war er. Er konnte seine Eifersucht nicht beherrschen. Sie war mächtiger als alles andere. Krankhaft.«
    Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen. Die Sonne war herausgekommen und beschien den von Menschen bevölkerten Platz vor dem Café. Die Passanten strömten in verschiedene Richtungen, blieben hie und da stehen, um einen Blick in ein Schaufenster zu werfen oder sich mit jemandem zu unterhalten oder um an einem Stand Blumen oder Süßigkeiten zu kaufen. Irgendwo in der Nähe spielte ein Straßenmusiker Geige.
    »Ellen und mein Bruder haben sich übrigens geliebt«, sagte ich. »Habe ich dir das schon erzählt?«
    John schüttelte den Kopf.
    »O ja. Obwohl Ellen das Beispiel der krankhaften Beziehung ihrer Eltern vor Augen hatte, war sie zu tiefer Liebe fähig. Sie hat Jago sehr geliebt.«
    »Du bist plötzlich so wehmütig geworden, Hannah. Du liebst deinen Bruder auch, stimmt’s?«
    »Das dachte ich damals. Ich dachte, ich liebe ihn, aber ich war schrecklich selbstsüchtig, John.«
    »Du warst doch noch so jung.«
    »Das entschuldigt nicht alles.«

VIERUNDFÜNFZIG

    W ährend Jago bei der Arbeit war, ging ich in sein Zimmer und durchstöberte sämtliche Schubladen. Schließlich fand ich eine braune Einkaufstüte. Darin befanden sich eine Packung mit drei winzigen Bodys und ein Paar Fäustlinge. Ich hielt die Babysachen an die Brust und starrte zum Fenster hinaus. Ich musste ihm sagen, dass es kein Baby geben würde. Aber wie, da ich doch nicht einmal von Ellens Schwangerschaft hätte wissen dürfen!
    Noch nie war ich so wütend auf Ellen gewesen wie in diesem Moment. Ich hasste sie dafür, dass sie mich in eine Situation gebracht hatte, in der ich Jago belügen – oder ihm zumindest die Wahrheit vorenthalten musste. Tag für Tag schleppte ich mein Wissen mit mir herum, während er völlig ahnungslos war. Auf ihn war ich ebenfalls wütend. Wütend, weil er so dumm gewesen war, es auf eine Schwangerschaft ankommen zu lassen, und wütend, weil er es mir verschwiegen hatte, sodass ich ihm nun nicht sagen konnte, was sie getan hatte, sondern mich zum Lügen gezwungen sah, nur weil er unehrlich zu mir war.
    Ich empfand es als unfair, dass ich völlig unschuldig in dieses große Lügengebäude hineingetappt war, aus dem ich nun keinen Ausweg wusste. Es war zum Verzweifeln: Nun glaubte einer von uns dreien, er hätte neues Leben gezeugt, die andere hatte es ohne sein Wissen beendet, und die Dritte im Bunde wusste alles und war völlig machtlos.
    Die Beziehung zwischen Jago und mir litt darunter. Ich vermied es, zusammen mit ihm in einem Raum zu sein, um ihm nicht ins Gesicht sehen und nicht so tun zu

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