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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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welche Last dann von mir abfiele.
    Nur einen Augenblick lang gestattete ich mir diese Vorstellung, doch er reichte, um mich wieder einigermaßen zu fassen.
    Ein Kellner griff zu einer kleinen Fiedel und begann zu spielen, ein anderer sang mit hitziger, honigsüßer Stimme dazu. Ich konzentrierte mich auf die fremden Klänge und spürte, wie mein Schmerz verebbte und sich in seinen Panzer zurückzog. Die Dinge um mich herum wurden wieder normal.
    »Und wie geht es Charlotte?«, fragte ich lächelnd.
    »Gut.« John nahm einen Schluck Wein. »Die Chorproben nehmen sie sehr in Anspruch. Ihre neueste Leidenschaft.«
    »Welches Stück proben sie denn?«
    »Händels Messias. «
    »Oh, klingt großartig.«
    »Das sollte es jedenfalls sein, wenn man bedenkt, wie viel sie proben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Zeit das in Anspruch nimmt.«
    Ich musterte ihn verstohlen, aber seine Stimme war frei von jeglicher Ironie.
    Dann sagte er: »Zum Ende des Trimesters tritt der Chor in St.   George’s auf. Wenn du willst, besorgt Charlotte dir bestimmt gern eine Eintrittskarte.«
    »Danke, aber ich glaube, das ist nicht ganz mein Ding.«
    »Meines auch nicht, aber ich fürchte, ich werde nicht darum herumkommen.«
    Wir mussten beide lächeln.
    »Charlotte und du, ihr seid ganz unterschiedliche Charaktere«, sagte ich vorsichtig. »Ihr scheint kaum Gemeinsamkeiten zu haben.«
    »Das stimmt. Jedenfalls nicht sehr viele.«
    »Ist das nicht … schwierig für eine Beziehung?«
    John ließ den Wein in seinem Glas kreisen, und das Kerzenlicht erzeugte flackernde Reflexe darin. Er lächelte versonnen. »Ich weiß, die Leute denken, dass Charlotte und ich nicht zueinander passen. Mir ist nicht entgangen, wie sie Charlotte ansehen und dabei denken, dass sie eine bessere Partie hätte machen können. Warum eine Frau wie sie, die jeden Mann haben könnte, ausgerechnet diesen zotteligen Exzentriker genommen hat. Das weiß ich übrigens auch nicht. Vermutlich habe ich einfach Glück gehabt.«
    »Ich kann mir keinen besseren Mann als dich vorstellen«, sagte ich so leise, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob er es gehört hatte.
    »Man hat es nun mal nicht in der Hand, in wen man sich verliebt. Zu meinem großen Glück«, fügte er hinzu.
    »Nein, das hat man nicht«, sagte ich, wobei ich zu einer anderen Schlussfolgerung gelangte als er.
    Ich hob den Kopf, und als sich unsere Blicke für einen Moment begegneten, lächelte John ein wenig verzagt und wandte das Gesicht ab.

ACHT

    A ls die Schulferien endeten und Ellen und ich gemeinsam auf die Gesamtschule in Helston wechselten, kannten wir einander keine fünf Wochen. Ich hatte noch nie eine beste Freundin gehabt, und es war ein merkwürdiges und zugleich berückendes Gefühl; zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wie verzaubert. Seit ich sie kannte, war ich kaum mehr allein. Ellen und ich fuhren zusammen mit dem Bus zur Schule und saßen in derselben Schulbank. In den Pausen zogen wir uns in eine ruhige Ecke zurück, wo wir die Köpfe zusammensteckten und plauderten. Wir waren füreinander da, wenn wir jemanden brauchten. Unsere Freundschaft war für beide ein Glücksfall: für Ellen, weil sie keine anderen Mädchen kannte, und für mich, weil ich schon immer ein einsames Mädchen gewesen war. Es fiel mir nicht leicht, Freundschaften zu schließen. Ellen war nicht immer einfach, aber ich wusste sie zu nehmen. Wenn sie glücklich war, bewunderte ich sie und schwamm in ihrem Kielwasser. Wenn sie unglücklich war – meist dann, wenn jemand ihre Pläne durchkreuzt hatte –, bestand meine Rolle darin, ihr zuzuhören, während sie über die Ungerechtigkeit des Lebens schimpfte, und sie zu bemitleiden. Manchmal saßen wir stundenlang in einer uneinsehbaren Ecke des Gartens von Thornfield House, während sie klagte und ich ihr in allem zustimmte. Bei anderen Gelegenheiten wiederum ertappte ich mich dabei, wie ich ihr Schützenhilfe leistete, nachdem ich vergeblich versucht hatte, ihr ein Vorhaben auszureden, obwohl ich sicher war, dass es ein unheilvolles Ende nehmen würde. Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass sie nicht halb so viele Dinge angestellt hätte, wäre ich nicht da gewesen. Sie brauchte ein Publikum, und das war ich.
    Aber das hieß noch lange nicht, dass ich ihr Schoßhündchen war, das ihr blind folgte, o nein. Unsere Freundschaft beruhte auf Gegenseitigkeit. Ellen gab mir genauso viel, wie sie von mir nahm, vielleicht sogar mehr. Eines Nachmittags während der

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