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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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früh auf. Ich fühlte mich nicht mehr so angespannt. Ich hatte besser geschlafen als in der Nacht zuvor und war froh, mir fürs Wochenende etwas vorgenommen zu haben. So lag es nicht wie eine breite, öde Straße vor mir, die nirgendwohin führte außer zu einem weiteren Montagmorgen. Es würde mir guttun, meine Eltern wiederzusehen, und sie würden sich über meinen Besuch freuen. Außerdem würde ich mir nicht so viele Sorgen um meine psychische Gesundheit machen, wenn ich in Gesellschaft wäre. In diesem Zustand fürchtete ich mich vor Einsamkeit.
    Ich fuhr mit einem Taxi von Montpelier zur Temple Meads Station in Bristol. Glücklicherweise kam der Zug pünktlich, und ich ergatterte einen Fensterplatz. Während der Zug in Richtung Süden durch Somerset fuhr, trank ich Kaffee und aß ein Mandelteilchen zum Frühstück. Alles in allem war es eine angenehme Reise. Ich hatte ein Buch zum Lesen mitgenommen, die Sonne schien, und jenseits der Fensterscheibe bot sich mir eine herrliche Landschaft. Ich döste sogar ein Weilchen, und als ich in Helston ausstieg, fühlte ich mich so gut wie seit Längerem nicht mehr.
    Am Bahnhof nahm ich erneut ein Taxi, das mich über schmale, gewundene Landstraßen nach Trethene brachte. Ich kam mir vor wie ein Erwachsener in einer Spielzeugwelt. Alles im Süden Cornwalls schien überaus grün, niedlich und winzig. Der Wagen passierte kleine Furten, an den steilen Straßenböschungen wuchsen Büschel rosafarbener und weißer Wildblumen – Fingerhut, Rote Lichtnelken und Margeriten –, hübsche, weiß getünchte Cottages standen inmitten üppiger Gärten, und über mir sprenkelte das grüne Blattwerk den blauen Himmel.
    Als der Wagen vor der Cross Hands Lane 8 hielt, schob ich die Sonnenbrille ins Haar und betrachtete einen Augenblick lang das Cottage. Das Haus meiner Eltern hatte nichts von dieser Postkartenidylle. Es war ein kleines, schlichtes Haus in einer Sozialsiedlung, aber Mom und Dad hatten sich dort stets wohlgefühlt. Sie wohnten seit ihrer Hochzeit dort und hatten sich bemüht, es zu verschönern. Weißes und rosafarbenes Strand-Berufkraut hatte sich in der Gartenmauer selbst ausgesät, und Rosenstauden mit kleinen rosafarbenen Blüten rankten sich um die Haustür. Der Vorgarten war winzig, wie der Garten vor einer Puppenstube. Ich konnte kaum glauben, dass Jagos alter Wagen einmal dort Platz gefunden hatte. Wie hatten Vater und er es geschafft, auf dieser handtuchgroßen Fläche ein Auto instand zu setzen?
    Mit dem Schlüssel, der wie eh und je unter der Plastikmilchflasche neben dem Eingang versteckt war, schloss ich die Tür auf. Bestimmt war Mum in der Küche und wischte mit einem feuchten Tuch die Oberflächen ab. Durch die Fenster konnte ich meinen Vater sehen, der im Gemüsegarten die Beete goss. Die Küche war wie immer blütenweiß und blitzsauber.
    »Hallo, ich bin’s!«, rief ich, und Mum drehte sich strahlend zu mir um.
    »Hannah, was für eine schöne Überraschung«, sagte sie, wobei sie die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknete, ehe sie mir einen Begrüßungskuss gab. Dann setzte sie Teewasser auf und fragte: »Du hast uns nicht gesagt, dass du kommen wolltest, oder irre ich mich?«
    »Nein. Ich habe mich ganz spontan entschieden. Ich hatte Sehnsucht nach euch und nach Cornwall.«
    »Das ist wunderbar. Kannst du ein paar Tage bleiben?«
    »Nur heute Nacht, morgen muss ich wieder nach Bristol zurück.«
    »Oh.« Es war nur eine Silbe, aber die darin enthaltene Enttäuschung war unüberhörbar. Ich bemühte mich, es ihr nicht zu verübeln, dass sie mir mal wieder Schuldgefühle bereitete. Ich drehte meiner Mutter den Rücken zu, damit sie mein Gesicht nicht sah, und nahm Tassen und Untertassen aus dem Schrank.
    Während Mum darauf wartete, dass das Wasser kochte, machte sie sich mit einem Messer an einer Kekspackung zu schaffen. Dann sagte sie erneut etwas, das ich nicht hören wollte: »Du bist ziemlich blass, Liebes.«
    »Es geht mir gut.«
    »Du siehst abgespannt aus.«
    Ich öffnete den Mund, um ihr zu versichern, dass es mir wirklich gut gehe, aber plötzlich fühlte ich mich müde. Ich wünschte, ich wäre wieder dreizehn und könnte nach oben in mein Zimmer rennen, meinen Pyjama anziehen und mich in mein Bett unter die Steppdecke kuscheln. Ich wünschte, Trixie wäre noch am Leben und würde sich quer über meine Beine legen. Ich wünschte, mein Leben drehte sich wieder um glitzernden Nagellack, Lockenzangen, die Kummerseiten von Jugendzeitschriften,

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