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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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grün gestreiften Liegestuhl saß, im Hintergrund das Spritzen des Wasserschlauchs, Vogelgezwitscher und die Geräusche einer Kinderfernsehsendung, die zusammen mit dem Geruch von gebratenen Zwiebeln aus der Küche eines benachbarten Hauses über die Hecke zu uns geweht wurden. Mir war ein wenig schwindelig. Ich schüttete den Bodensatz meines Tees ins Gras.
    »Waren Ellens Eltern eigentlich nett zu dir, Mom?«, fragte ich.
    Meine Mutter runzelte die Stirn. »Oh, keine Ahnung. Die Brechts waren recht großzügig, aber ich habe die beiden kaum gekannt. Sie waren keine Leute, mit denen man leicht ins Gespräch kommt. Sie waren anders als wir.«
    »Ja, das stimmt wohl.«
    »Mrs   Todd ist auch lieber für sich geblieben. Außerdem waren sie Katholiken, sodass wir uns nie bei irgendwelchen kirchlichen Veranstaltungen begegnet sind.«
    Mum zupfte an ihrem Ohrläppchen. »Nach Mrs   Brechts Tod bin ich nicht mehr gern in dieses Haus gegangen. Es hatte sich verändert. Es war irgendwie … es war wie verhext.«
    »Ich weiß, was du meinst.«
    Ich warf meinem Vater einen verstohlenen Blick zu. Er hatte das Wasser abgedreht und wickelte den Schlauch über seiner Schulter auf. Das restliche Wasser rann auf die Zementplatten neben seinen Füßen. Er blickte nicht gern auf unglückliche Zeiten zurück. Und er mochte es auch nicht, wenn Mum es tat.
    Ich ergriff die Hand meiner Mutter. Sie war groß und fühlte sich trocken an, die Fingerknöchel knorrig, die Haut von Altersflecken übersät. Meine Eltern waren für mich schon immer alt gewesen. Ich hatte sie nie jung gekannt.
    »Was sitzt ihr beiden denn da und zieht lange Gesichter«, sagte Dad betont munter. »Es ist so ein schöner Tag. Lasst uns in den Ort spazieren und ein Sandwich essen. Ich lade euch ein, hm, was meint ihr?«
    »Das ist eine gute Idee, Malcolm«, erwiderte Mum. Sie rappelte sich mühsam aus dem Liegestuhl hoch, stellte die Teetassen aufs Tablett und verschwand damit im Haus.
    Mein Vater kratzte sich den Bart.
    »Deine Mutter spricht nicht gern über diese Geschichte mit den Brechts«, sagte er.
    »Ich weiß, Dad, tut mir leid. Aber …«
    »Wir wollen die Vergangenheit ruhen lassen. Es kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn man alte Wunden wieder aufreißt. Ganz und gar nicht.«

ZWANZIG

    E s war im Dezember, einen Monat nach meinem siebzehnten Geburtstag. Die Halbinsel war in Nebel getaucht. Es war bitterkalt, sogar in meinem Schlafzimmer herrschte eine feuchte Kälte, die einem bis in die Knochen kroch, in die Kleidung, die Wände, die Träume. Tagelang hielt sich hartnäckig der Nebel, und ich hasste es. Ich hatte das Gefühl, zu ersticken, wünschte, ich könnte mich daraus befreien, einfach weggehen, an einen Ort, wo ich durch den Vorhang des Nebels in helles Tageslicht treten konnte. In Goonhilly drehten die sich in den Nebelschwaden nur vage abzeichnenden Satellitenschüsseln ihre riesigen Gesichter dem Himmel zu und blickten durch das hartnäckige Grau, als wäre es nicht da, während wir Menschen am Boden kaum die Hand vor dem Gesicht sahen. Der Nebel machte mich orientierungslos. Auf dem Nachhauseweg wusste ich oft nicht, in welche Richtung ich mich wenden sollte, welcher Weg der richtige war und welcher zum Rand der Klippen führte. In dieser Atmosphäre fiel es einem nicht schwer, sich vorzustellen, dass einem irgendwo ein Räuber mit einem Messer auflauerte, der nur darauf wartete, einem die Kehle aufzuschlitzen, oder Geister, die einen mit ihren eisigen Fingern berührten, einem ins Haar fassten und schaurige Geheimnisse ins Ohr flüsterten.
    Anstatt morgens im Dunkeln den Hügel hinaufzugehen, begab ich mich lieber zu der etwas weiter entfernten Bushaltestelle am anderen Ende der Cross Hands Lane. Lange bevor sich die gelben Kreise der Scheinwerfer in der Finsternis abzeichneten, hörte ich schon die dröhnenden Motorengeräusche. Ellen saß bereits im Bus, stets an ihrem gewohnten Fensterplatz in der zweitletzten Sitzreihe, und hielt den Platz neben sich für mich frei. Bis sie eines Morgens nicht im Bus war.
    Am Vortag war Mr   Brecht vor dem Unterrichtsende in die Schule gekommen, um sie abzuholen.
    »Geh mit ihr, Hannah«, hatte die Lehrerin gesagt, als sie die Nachricht las, die ihr ein Schüler aus einer der unteren Klassen überbracht hatte. »Kümmere dich um sie«, fügte sie hinzu, wobei sie den Zettel ordentlich auf ein Viertel seiner ursprünglichen Größe zusammenfaltete, ehe sie ihn in den Papierkorb warf. Während Ellen

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