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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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bedächtig, »ist es so, dass wenn man an einen Ort der Vergangenheit zurückkehrt, man sich automatisch wieder in das Alter zurückversetzt fühlt, das man hatte, als man ihn verließ.«
    Ich dachte einen Moment lang über seine Worte nach. »Ja«, sagte ich. »Stimmt, genau so geht es mir.«
    Bill sah mich zufrieden an. Er nahm einen ausgiebigen Schluck von seinem Bier. Ich beobachtete, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpfte. Dann stellte er das Glas feierlich auf den Tisch zurück.
    »Hast du mal wieder was von deinem Bruder gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Seit Dads Herzinfarkt habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen.«
    »Das ist doch schon einige Jahre her, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Warum habt ihr keinen Kontakt mehr? Ihr zwei habt doch immer wie Pech und Schwefel zusammengehalten.«
    »Einfach so. Wir haben uns eben nichts mehr zu sagen.«
    Bill stieß ein ungläubiges Schnauben aus. »Das ist ja wohl das Dümmste, was ich seit Langem gehört hab. Ihr beide lebt an zwei entgegengesetzten Enden der Welt, da müsstet ihr euch doch jede Menge zu erzählen haben.«
    Ich nickte in der Hoffnung, er würde sich damit zufriedengeben, wenn ich ihm zustimmte. Dann blies ich einen Marienkäfer von meinem Unterarm.
    »Aber es geht ihm doch hoffentlich gut?«
    »Ja, er hat eine gute Stelle, soweit ich weiß.«
    »Und eine nette Frau hoffentlich auch?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Er scheint die Richtige noch nicht gefunden zu haben.«
    Ich sah auf die Bank hinab. Jemand hatte eine Chipstüte auf ein kleines Format gefaltet und sie in eine Ritze zwischen den Holzlatten gesteckt.
    »Jago ist schwer in Ordnung«, sagte Bill. »Einer der Besten, wenn du mich fragst. Wir hätten ihm alle geholfen. Egal, wovor er damals davongelaufen ist, ob wegen einer Frau, Geld oder was der Teufel sonst, wir hätten dafür gesorgt, dass es wieder in Ordnung kommt. Wenn dieser verdammte Mistkerl, entschuldige meine derbe Sprache, sich nicht ohne ein Wort aus dem Staub gemacht hätte.«
    Er nahm wieder einen Schluck Bier, leckte sich über die Lippen und stellte das fast leere Glas ab. Auf dem Unterarm hatte er eine Tätowierung mit den Namen seiner Enkel. Shoni und Jude.
    »Du hättest nicht verhindern können, dass Jago weggeht«, sagte ich. »Niemand hätte es verhindern können.«
    »Na gut.« Bill schüttelte den Kopf, klopfte eine Zigarette aus der Packung und rollte sie über den Tisch. »Wenn du wieder mal mit ihm sprechen solltest, sag ihm, dass ich mich nach ihm erkundigt hab.«
    »Das werde ich.«
    »Und sag ihm, er soll gefälligst wieder nach Hause kommen. Sag ihm …«
    Ich sah ihn abwartend an.
    »Sag dem Mistkerl, wir vermissen ihn.«
    Bill stand auf, klemmte sich die Zigarette hinters Ohr, nahm sein leeres Glas, tätschelte meine Schulter und ging wieder in den Pub hinein.
    Ich schlang meine Jacke enger um die Taille und ließ den Blick in die Ferne schweifen, über die flache Heide hinweg, wo sich Sommernebel bildete und die großen Satellitenschüsseln von Goonhilly einhüllte.
    Einen Moment schloss ich die Augen. Erneut sah ich die Gestalt oben auf der Klippe, die sich deutlich gegen das blendende Sonnenlicht abhob. Es war Ellen. Es war und blieb Ellen.
    Mit geschlossenen Augen spürte ich, wie ich in die Vergangenheit zurückwirbelte, zurück in die Zeit, als Ellen, Jago und ich bereits auf den Abgrund zusteuerten, auf die Katastrophe zu. Ohne dass wir es bemerkten. Wir spürten nicht, wie wir immer mehr in den Abwärtssog gerieten.
    Von dem vielen Erinnern war mir schwindelig, und mein Ringen um Vergessen erschöpfte mich.

VIERUNDZWANZIG

    I ch folgte Mrs   Todds Aufforderung und ging nach oben zu Ellen. Sie war in ihrem Zimmer, wo sie missmutig Handtuch, Shampoo und Conditioner zusammenraffte, um sich dann ins Bad zu begeben. Ich folgte ihr. Sie verschloss hinter mir die Tür und drehte den Heißwasserhahn an der Badewanne so weit wie möglich auf. Ich wartete, dass sie etwas sagte. Mir fiel auf, dass Anne Brechts Zahnbürste noch immer im Zahnputzbecher stand. Auf dem Fenstersims lag ein Waschlappen mit ihren Initialen und auch die Gummimatte, die sie vor dem Ausrutschen bewahren sollte. Ihre Kosmetiksachen, ihre Lotionen, Cremetiegel und Öle waren noch da.
    »Er ist ein Scheißkerl«, sagte Ellen, ohne mich anzusehen. »Er ist ein verdammter bösartiger Scheißkerl und Lügner.«
    Es war nicht das erste Mal, dass ich einen Ausbruch dieser Art bei ihr erlebte. Ich klappte den Toilettendeckel

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