Das Dornenhaus
Anrichte aus und kam zu mir. Er roch nach seinen Gitanes und einem Parfüm mit Vetiver und wirkte wie immer weltmännisch und glamourös.
»Du siehst heute Abend sehr hübsch aus, Hannah«, sagte er. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. Die Hände fest im Schoß verschränkt, schaute ich lächelnd und so ungezwungen wie möglich zu ihm hoch.
Er setzte sich auf den Stuhl neben Ellen, faltete seine Serviette auseinander und breitete sie über die Knie.
»Und, redest du wieder mit mir, Ellen?«, fragte er.
»Wenn es nicht unbedingt sein muss, würde ich lieber darauf verzichten«, erwiderte sie. Ihre ungezogene Antwort ließ mich zusammenzucken.
Mr Brecht atmete tief ein.
»Tut mir leid, Liebling, dass wir wieder einmal aneinandergeraten sind, aber du hast es dir selbst zuzuschreiben«, sagte er. »Ich würde mich viel lieber mit dir vertragen, doch du treibst mich immer wieder zur Weißglut. Nie tust du, was ich dir sage. Du erinnerst mich an deine Mutter, sie hat auch nie auf mich gehört. Und zurzeit kann ich nicht damit umgehen, verstehst du.«
»Soll das eine Entschuldigung sein?«, fragte Ellen.
»O Ellen«, sagte Mr Brecht. »Wir haben einen Gast. Wenigstens vor Hannah sollten wir uns wie zivilisierte Menschen benehmen.«
Er entkorkte die Weinflasche, die auf dem Tisch stand, und füllte drei Gläser zur Hälfte. Dann nahm er einen Schluck. Bei uns zu Hause wurde nie Wein getrunken. Ich genoss das Gefühl des Weinglases in meiner Hand. Ich mochte es, wie der Wein im Kerzenlicht funkelte. Ich genoss es, mich erwachsen zu fühlen. Während wir so formell an der eleganten Tafel saßen, wie drei Personen auf einem Gemälde, kam Mrs Todd mit einem Tablett herein. Sie stellte vor jeden eine Schüssel dampfende Erbsensuppe mit Klößchen hin. Dazu gab es selbst gebackene Brötchen, und auf einem kleinen Teller lagen Butterröllchen. Eine Weile aßen wir schweigend, nur die Musik war zu hören. Als Hauptgericht gab es Zwiebelschmorbraten mit Kräuterröstkartoffeln und frischem Gemüse. Es schmeckte köstlich. Mr Brecht aß nicht viel, schenkte sich aber mehrmals Wein nach. Als die Flasche leer war, brachte Mrs Todd eine weitere. Ellen stocherte in ihrem Essen und schob es lustlos auf ihrem Teller herum. Ihren Wein rührte sie nicht an.
Nachdem wir mit dem Hauptgericht fertig waren, bat sie ihren Vater um Erlaubnis, mit mir zusammen wieder auf ihr Zimmer gehen zu dürfen.
»Einen Moment noch«, sagte Mr Brecht. Er stand auf, stellte sich hinter den Stuhl seiner Tochter und fischte etwas aus seiner Jacketttasche. Es war die zarte Goldkette mit dem Violinschlüsselanhänger, die Ellens Mutter immer um den Hals getragen hatte. Ellen saß unbeweglich wie eine Statue da, während er ihr die Kette umlegte. Dann beugte er sich hinab und küsste sie auf den Scheitel.
»Wenn ich so streng mit dir bin, dann nur, weil ich es gut mit dir meine, mein Schatz«, sagte er. »Weil ich dich liebe. Wenn ich dich nicht so sehr liebte, würde ich auch nicht so wütend werden. Das verstehst du doch?«
Ellen nickte.
»Mein braves Mädchen.«
Da er hinter ihr stand, konnte er ihr Gesicht nicht sehen. Aber ich saß ihr gegenüber und erkannte die Wut in ihren Augen. Ihr Ausdruck machte mir Angst.
FÜNFUNDZWANZIG
I n der Abenddämmerung spazierte ich vom Pub in die Cross Hands Lane zurück. Meine Eltern waren bereits zu Bett gegangen. Ein Teller mit einem in Frischhaltefolie gewickelten Schinkensandwich stand für mich bereit. Ich machte mir Tee, aß das Sandwich, sah ein bisschen fern und ging dann nach oben in mein ehemaliges Kinderzimmer. Als ich in dem schmalen Bett, in dem ich schon als kleines Kind und dann als Teenager geschlafen hatte, zwischen die frisch gewaschenen kühlen Laken schlüpfte, stellte sich sofort wieder ein vertrautes behagliches Gefühl ein. Ich hatte ganz vergessen, wie weich die Matratze war. Nur Trixie fehlte. Sie war unter meinem Bett gestorben, während ich in Chile war. Dad hatte sie in eine Decke gewickelt und im Garten begraben.
Um Trixie zu trauern, war mir damals nicht schwergefallen. Es war eine selbstverständliche, natürliche Trauer gewesen, und ich hatte nie das Gefühl gehabt, von der toten Trixie heimgesucht zu werden. Ich hatte meinen Tränen freien Lauf gelassen und aufrechten Schmerz empfunden, der auf gewisse Weise etwas Tröstendes hatte. Wenn ich mir das große, hässliche Gesicht des Hundes in Erinnerung rief, Trixies Zurückhaltung,
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