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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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schob eine Haarsträhne zurück.
    »Hallo, Hannahlein«, sagte er mit einem müden Lächeln.
    »Geh zu Ellen hinauf und rede mit ihr«, sagte Mrs   Todd freundlich zu mir. »In einer halben Stunde ist das Abendessen fertig.«
    Ich nickte, legte die Zeitschrift auf die Armlehne des Sessels und huschte zur Tür hinaus.

DREIUNDZWANZIG

    A uf dem Rückweg zum Haus meiner Eltern beschloss ich, beim Smugglers’ Rest halt zu machen, einem kleinen, heruntergekommenen Pub, das über einen gewissen nostalgischen Charme verfügte. Normalerweise ging ich nie allein in eine Kneipe, aber beim Anblick der Frau auf dem oberen Rand der Klippen war mir dermaßen der Schreck in die Glieder gefahren, dass ich einen Drink brauchte. Entweder spielte mein Gehirn mal wieder ein grausames Spiel mit mir, oder Ellen war tatsächlich von den Toten auferstanden. Ich wusste nicht, welche der beiden Möglichkeiten beängstigender war. In diesem Zustand konnte ich unmöglich meiner Mutter unter die Augen treten. Zuerst musste ich mich wieder fangen. Vielleicht würde der Alkohol ja die gewünschte Wirkung haben. Vielleicht würde es mich auch beruhigen, eine Weile in dem schmuddeligen Biergarten des Pubs zu sitzen, inmitten von Wiesenkerbel und umschwirrt von diesen winzigen, braunen blütenbestäubenden Motten, und dem Sonnenuntergang zuzusehen, während die Menschen um mich herum plauderten und den Abend genossen, als wäre nichts passiert.
    Mit achtzehn war ich zum letzten Mal in diesem Pub gewesen, zusammen mit Ricky, meinem ersten Freund. Ich erinnerte mich noch daran, was wir danach auf dem Parkplatz gemacht hatten. Als ich jetzt die düstere Bar betrat und über den Garten hinweg zu der Stelle blickte, wo Ricky vor vielen Jahren immer seinen Wagen abgestellt hatte, legte ich die Arme um meinen Körper und musste unwillkürlich lächeln.
    Nur eine Handvoll Gäste saß in der Schankstube, einem engen, dunklen Raum; Geschirrspülmaschinendampf hing in der Luft. Ich bestellte Cidre, doch gerade als der Barmann ein Glas für mich füllte, bemerkte ich, dass ich kein Geld dabeihatte. Das genügte schon, um mir Tränen in die Augen zu treiben. Ich fühlte mich wie ein Kind, das etwas nicht bekam, was es unbedingt haben wollte. Alles lief schief, und im Grunde hatte es wie immer mit Ellen zu tun. Sie war stets die Wurzel meines Unglücks. Beschämt murmelte ich eine Entschuldigung und wollte gerade wieder gehen, als ein dünner grauhaariger Mann vor mich hintrat. Er zog seine dünne Wollmütze vom Kopf, sah mir ins Gesicht und sagte: »Das ist doch die kleine Hannah Brown, wenn ich mich nicht täusche?«
    Der Mann verunsicherte mich zusätzlich.
    »Ja«, sagte ich und wollte links an ihm vorbeigehen, aber er versperrte mir erneut den Weg.
    »Ich bin Bill, Bill Haworth. Jago hat früher auf meinem Boot gearbeitet.«
    »O ja, natürlich, Bill! Wie nett, dich zu sehen.« Wieder wollte ich mich an ihm vorbeischieben, aber er hielt mich am Arm fest.
    »Ich spendiere dir den Drink«, sagte er. »Du siehst aus, als könntest du ihn gebrauchen. Geh doch schon mal raus in den Garten und such uns einen Tisch, wo wir uns unterhalten können. Ich bin gleich bei dir.«
    »Das ist sehr nett von dir, Bill, aber …«
    »Geh ruhig.«
    Ich schlängelte mich durch die enge Bar hinaus in den Garten und setzte mich auf eine freie Bank. Während ich auf Bill wartete, zerrupfte ich nervös einen Bierdeckel. Kurz darauf kam Bill mit meinem Cidre und einem Bier für sich an den Tisch. Er stellte die Gläser auf den aus groben Holzbrettern gezimmerten Tisch und setzte sich ans andere Ende der Bank, die wackelte und ächzte, als könne sie jeden Moment auseinanderfallen. Ich stellte meine Füße fest auf den Boden, um das Gewicht auszubalancieren.
    »Also«, sagte Bill. »Jetzt kannst du mir ja erzählen, warum du hergekommen bist und was passiert ist.«
    Ich hob das Glas an die Lippen und trank in langsamen Schlucken. Der Cidre war süß und kalt, er schmeckte köstlich.
    »Ich bin übers Wochenende bei meinen Eltern zu Besuch. Gar nichts ist passiert, ich habe nur …« Ich starrte in mein Glas. Es schien alles viel zu kompliziert, um es zu erklären, selbst Bill, der einen Teil der Geschichte bereits kannte. »Es ist schwer für mich, wieder hier zu sein. Ich komme mir wie eine Fremde vor, als würde ich nicht mehr hierhergehören, aber gleichzeitig ist es, als wäre ich nie weg gewesen.«
    »Also, wenn du meine bescheidene Meinung hören willst«, sagte Bill

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