Das Dornenhaus
bin.«
»Ich würde bei dir bleiben«, sagte Jago. »Wir könnten hier leben, nur wir beide, du und ich.«
Und ich?, hätte ich am liebsten gerufen? Was ist mit mir?
Ellen lächelte. Sie ließ den Kopf sinken und zog die Ärmel ihres Shirts bis über die Handballen.
»Das würdest du tun, Jago? Mit mir hier leben?«, fragte sie. »Wirklich?« Ihre Stimme klang gedämpft, da sie die Beine angewinkelt hatte und den Mund auf die Knie presste.
»Das weißt du doch.«
»Wir müssen gehen«, sagte ich. »Jago, nun sag du doch auch mal was. Wir müssen jetzt wirklich los.«
Die beiden schienen mich gar nicht zu hören. Wie verzaubert sahen sie einander an.
»Bitte!«, rief ich. »Sonst gibt es Ärger!«
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ihre Sachen zusammengepackt hatten. Sie schwiegen, lächelten aber unentwegt. Wieder fühlte ich mich ausgeschlossen. Immer wieder mahnte ich sie zur Eile, aber sie hörten nicht auf mich.
Es kam, wie es kommen musste.
Statt die Straße zu nehmen, radelten wir über die landwirtschaftlich genutzten Feldwege, die nur von Traktoren und Kühen benutzt wurden, nach Trethene zurück. Die sonnenverbrannte Haut an unseren Beinen spannte. Als wir um die Ecke in die Cross Hands Lane bogen, sahen wir ein Auto vor dem Cottage parken.
»Scheiße!«, sagte Jago. »Wer ist das?«
»Das ist Papas Wagen!«, sagte Ellen.
Mir war, als hätte ich schon die ganze Zeit gewusst, dass der Wagen dort stehen würde. Ich sah Ellen an, deren Augen geweitet waren und die ganz blass geworden war. Ich fragte mich, ob sie es auf eine offene Konfrontation mit ihrem Vater angelegt hatte. Ob sie das hier geplant hatte, damit alle Mitleid mit ihr haben würden …
»Vielleicht solltest du einfach nach Hause laufen«, sagte ich. »Mir wird schon irgendetwas einfallen …«
»Nein, ich will ihm nicht allein gegenübertreten!«, erwiderte Ellen.
»Du bist nicht allein«, sagte Jago. »Ich bin ja da.«
Ellen machte ein dramatisches Gesicht, wie nur sie es konnte. »Jago, er darf nicht wissen, dass ich mit dir zusammen war. Das würde alles nur noch schlimmer machen.«
»Warum denn? Wir haben doch nichts Schlimmes getan.«
»Darum geht es nicht. Wenn Papa herausfindet, dass ich mit dir den Tag verbracht habe, wird er denken …« Ihre Stimme verebbte. »Du weißt schon.«
Jago stieß einen frustrierten Seufzer aus.
Ich bemühte mich, meinen Atem zu kontrollieren. Hatte ich ihnen nicht prophezeit, das so etwas passieren würde? Hätten sie bloß auf mich gehört!
»Was sollen wir jetzt sagen?«, fragte Ellen.
»Wir haben nichts Schlimmes getan«, sagte Jago noch einmal.
»Bitte, Jago« – Ellen sah ihn flehend an –, »warte draußen, geh jetzt nicht mit uns hinein.«
Ich nahm Ellens Hand. »Komm. Jago, sag du nichts, sondern lass mich reden.«
Wir gingen ums Haus herum zur Hintertür. Jago folgte im Abstand von ein paar Metern.
Meine Eltern und Mr Brecht waren im Wohnzimmer. Es wirkte viel zu klein, zu eng und zu gewöhnlich für das Drama, das sich darin abspielen sollte. Mr Brecht stand mit dem Rücken zu uns am Fenster. Er musste uns beobachtet haben, als wir draußen diskutierten. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»O Hannah!«, rief meine Mutter aus. An ihrer Stimme erkannte ich, dass sie gleichermaßen erleichtert wie wütend war. »Ein umgestürzter Baum auf dem Bahngleis hat dafür gesorgt, dass Mr Brechts Zug ausgefallen ist, also ist er postwendend wieder nach Hause gefahren. Er hat sich solche Sorgen gemacht. Wo wart ihr denn den ganzen Tag? Es ist schon halb acht! Fast schon dunkel!«
»Wir waren am Strand. Es war so ein schöner Tag, und …«
»Du hast mir gesagt, dass du heute arbeiten würdest, Ellen«, sagte Mr Brecht, ohne sich umzudrehen.
»Ich war dort, aber sie haben gesagt, sie brauchen mich heute nicht.«
»Ich bin zur Eisdiele gefahren, und dort meinten sie, dass du gar nicht erschienen bist. Wo warst du, Ellen?«
»Wir waren am Strand, ganz ehrlich«, sagte ich.
»An welchem Strand?«
»In Polrack.«
»Ihr wart nicht in Polrack.«
»Wir wollen uns jetzt doch nicht wegen irgendwelcher Kleinigkeiten streiten«, warf Dad ein. »Ende gut, alles gut, nicht wahr?« Er stand auf und rieb sich die Hände. »Wie wär’s mit einem Bier, Mr Brecht?«
Mr Brecht schien ihn gar nicht gehört zu haben.
»Du hast gelogen, Ellen«, sagte er. »Ich bemühe mich, dir zu vertrauen und dir zu glauben, aber du belügst mich immerzu.
Weitere Kostenlose Bücher