Das Dornröschen-Projekt - Krimi
den Gürtel gesteckt, was sein Jackett auffaltete. Matti spürte die Eifersucht.
Die hintere Tür öffnete sich. »Zum Hauptbahnhof!«, bellte eine Stimme.
Matti erschrak und starrte wieder hinaus. »Bin belegt.«
»Von wem?«, bellte es.
»Raus!«, sagte Matti zischend. Er sah im Spiegel, wie ein Fettsack mit roten Gesichtsflecken die Backen aufblies, aber dann nur schnaubte und ausstieg. Er knallte die Tür zu. »Arschloch, so ein Arschloch!«, hörte Matti noch, aber er begriff es nicht, seine Aufmerksamkeit richtete sich nach vorn.
Lily hatte die Hände in die Taille gestemmt und schien nachzudenken, während der Mann auf sie einredete. Sie hob die Hände und ließ sie fallen. Dann zog sie die Beifahrertür des blauen Toyota Avensis auf, neben dem sie standen. Der Mann ging ums Heck herum und öffnete die Fahrertür. Sie wechselten über das Dach noch ein paar Worte, dann stiegen sie gleichzeitig ein. Matti ließ seinen Benz nach vorn rollen. Der Toyota parkte aus und fuhr in Richtung Osten, vorbei an den U-Bahnhöfen Uhlandstraße und Kurfürstendamm und schwenkte mit der Fahrbahn in die Tauentzienstraße, vorbei am KaDeWe, herum um den U-Bahnhof am Wittenbergplatz, um dort im Stau stecken zu bleiben. Matti war drei Wagen hinter ihnen. Er überhörte den Funk, der einen Fahrer in der Bayreuther Straße suchte, und den PDA , der den Eingang einer SMS meldete. Der Verkehr quälte sich ein paar Meter nach vorn. Einen Augenblick war er versucht, Lily aus dem Auto herauszuzerren. Wieder ein paar Meter.
Links neben ihm bremste quietschend und zischend ein Schwerlaster, der Diesel dröhnte. Rechts der Brunnen mit den Skulpturen, auf dem Brunnenrand saßen drei Mädchen und unterhielten sich lebhaft. Eines stand auf und tanzte einige Schritte, während es sich die Hand vor den Mund hielt. Sie hatte blonde Zöpfe und trug ein rotes Kleid. Die anderen beiden Mädchen lachten. Die Blonde setzte sich neben ihre Freundinnen, und die jetzt in der Mitte saß, stand auf und tanzte ebenfalls, mit ungelenken Bewegungen ihrer staksigen Beine.
Es ging weiter, der Lkw-Diesel heulte auf, eine Rußwolke zog über die Fahrbahn. Matti verlor den Brunnen und die Mädchen aus dem Blick, der Toyota rollte vorwärts und nach ihm die Autos, die ihm folgten. Durch eine Lücke sah Matti, dass Lily und ihr Begleiter sich lebhaft unterhielten, jedenfalls redete sie. Sie schüttelte den Kopf, dann nickte sie, während der Mann hinter dem Steuer sich kaum bewegte. Matti hörte den Klang ihrer Stimme, als säße sie neben ihm. Aber sie war unendlich weit weg.
Wer war dieser Typ? War es der, mit dem sie ihn betrogen hatte? Wenn sie ihn betrogen hatte? In diesem Augenblick war er überzeugt, sie hatte ihn betrogen. Die Arie am Telefon war Theater gewesen, ihr Versuch, sich ein gutes Gewissen zu verschaffen, die nachträgliche Rechtfertigung ihrer Lügen. Was fand sie an diesem Typen, der stocksteif hinter dem Steuer saß? War er reich? Die Karre sprach nicht dafür. War er eine Sprosse auf der Karriereleiter? Wo fuhren die hin nach Feierabend? Warum hatte der Kerl sie nicht direkt vor der Kanzlei abgeholt? Musste sie die Verbindung geheim halten vor irgendjemandem? Hatte sie auch in der Kanzlei was laufen? Vielleicht hatte sie ihn gleich mit zwei Männern betrogen? Obwohl, dafür hatte sie zu viel Zeit für ihn gehabt. Aber wenn sie einen zwischenparkte und bei Bedarf auf ihn zurückgriff?
Du bist verrückt, Matti. Seit wann fantasierst du wild herum? Was siehst du? Einen Kerl am Steuer und Lily auf dem Beifahrersitz. Sie unterhalten sich, und Lily redet ihn in Grund und Boden. So ist sie eben. Und du dichtest da etwas hinein, das mehr mit dir zu tun hat als mit dem, was geschieht. Wobei, ihn hatte sie nicht in Grund und Boden geredet.
Es ging etwas flotter voran. Als sie beim U-Bahnhof Nollendorfplatz waren, stieg Lily aus und eilte zur U-Bahn. Matti widerstand dem Impuls, ihr zu folgen. Mit etwas Verzögerung bemerkte er, dass der Abschied zu kühl gewesen war für eine Beziehung. Die hatte nichts mit dem, jedenfalls nicht das, was Matti gefürchtet hatte. Sie wird jetzt irgendjemanden besuchen, vielleicht einen anderen Mann. Vielleicht suchte sie auch nur einen Laden auf. Er blieb hinter dem Avensis. Der bog gleich links ab, nochmals links und fuhr zurück in die Kleiststraße, über den Wittenbergplatz, um rechts abzubiegen in die Nürnberger Straße, vorbei am Aquarium. Budapester-, Stüler-, Tiergartenstraße. Immer Richtung Osten,
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