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Das Drachenboot

Das Drachenboot

Titel: Das Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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schien verärgert. Und möglicherweise sogar neidisch. Aber wer konnte auf Männer neidisch sein, die eben erfahren hatten, daß ihre Plünderfahrt mit Aussicht auf großen Gewinn ins Wasser fallen würde? Ohnehin verstand Folke das alles nicht. Was am Morgen noch so geheimgehalten worden war, wurde jetzt munter besprochen. Vielleicht hatte Hjalti vor lauter Verärgerung vergessen, daß er Zuhörer hatte. Oder Sven und er waren nun beide in die Gemeinschaft aufgenommen. Mit allem, was dazugehörte: Annehmlichkeiten, Pflichten und Geheimnissen. »Mit wie vielen Booten wolltet ihr denn fahren?« flüsterte er Ulf ins Ohr.
    Ulf sah ihn stolz an. »Mit drei. Eins ist noch im Bau. Vielleicht fahre ich darauf schon als Wachführer. Alf will Steuermann werden.« Und dann fügte er hinter vorgehaltener Hand hinzu: »Es ist ein großes Dorf. Wir haben den ganzen Sommer gebraucht, um das richtige auszukundschaften.« Folke wollte ihn noch weiter aushorchen, als Sven sich erhob, um zu sprechen. Die Bootsleute schwiegen erstaunt; aber niemand würde einem Gast verwehren, seine Meinung zu sagen. Im Licht der flackernden Flammen ähnelte Sven mehr denn je einem widerborstigen Eber. Die Narbe auf seinem Gesicht leuchtete rot auf der bleichen Haut, als er anfing zu reden.
    »Mir«, krächzte er und räusperte sich dann umständlich, »steht es nicht zu, unter euch zu sprechen, denn ich gehöre nicht zu eurer Schiffsgemeinschaft. Zu den Dingen, die nur euch etwas angehen, würde ich auch nichts sagen, nur zu denen, die mich angehen.«
    »Dann sag auch nichts!« Aus einem breiten Brustkasten wie dem von Bolli konnte kein Flüstern kommen: seine Stimme ertönte laut durch das Zelt, obwohl er nur vor sich hin gesprochen hatte.
    Sven schien einen Moment irritiert, dann holte er tief Luft und fuhr fort: »Mich gehen die Sklaven dieses Dorfes mehr an als euch. Ihr wildert in unserem Revier. Meine Verwandten wollen es im nächsten Jahr ausplündern.«
    Die Männer sperrten Ohren und Münder auf angesichts der frechen Besitznahme eines Dorfes, das ihnen so gut wie gehörte. Sie warteten auf eine Erklärung. Sven jedoch setzte sich abrupt und sank in sich zusammen.
    »He, du«, brummelte der lange Finn, der auch im Sitzen so lang war, daß er auf seinen Nachbarn hinunterblicken konnte, »du nimmst den Mund zu voll! Das Dorf gehört uns. Wir haben in diesem Sommer ein paar von den Leuten totgeschlagen und eine Kostprobe für den Händler abgeholt, und im nächsten werden wir...«
    »Meine Leute werden es euch zeigen!« unterbrach ihn Sven aufgebracht. Dann fiel er wieder in sich zusammen, und Folke dachte bei sich: Dieser Mann ist gespalten wie ein Schlangenende auf Gedenksteinen - im einen Augenblick Mut für drei, im nächsten schon wie ein greinendes Kind. »Meine Leute.«
    »Du wohl nicht?« fragte Aslak ruhig. Folke wunderte sich, daß diese drei Worte Sven so tief treffen konnten. Denn Sven sprang auf, suchte mit rachsüchtigen Blicken den Sprecher im Halbdunkeln und fing an, sich seinen Weg durch die Männer zu Aslak zu bahnen. Niemand hielt ihn auf. Und trotzdem hielt Sven auf halbem Weg inne, drehte wieder um und ging steifbeinig zu seinem Schlafsack zurück.
    »Ich wohl nicht. «, bestätigte er tonlos, aber es war so still unter den Männern, daß sein Flüstern bis zu Folke am Eingang drang.
    Kurze Zeit schwebte die Beklemmung der Männer fast greifbar im Zelt, weil Sven so offensichtlich nicht gewagt hatte, sich die Genugtuung zu holen, nach der es ihn verlangt hatte. Es war kein gutes Zeichen für die Männer, daß sie einen Feigling in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten. Wie ein Mann richteten sie ihre vorwurfsvollen Blicke auf Hjalti, aber der zuckte die Achseln.
    »Sven Ichwohlnicht...«, sagte Aslak leise, und jeder verstand, daß er ihm damit einen Namen gegeben hatte. Wenn ein Vater seinen Sohn nach der Geburt aufnimmt und ihm den Namen gibt, der zu ihm zu gehören scheint, ist es ein guter Name, weil in ihm ein gestorbener Vorfahr wiederauflebt. Und wenn ein erwachsener Mann einem anderen einen Namen gibt, ist dieser häufig ein Ehrenname, weil er eine Eigenschaft des Mannes lobt. Aber dieser war kein Ehrenname.
    Folke zog lautlos und tief die Luft ein. Wie würde Sven sich verhalten?
    Aber Sven, der sich hingesetzt hatte, während er den Zunamen bekam, der ihn nun sein ganzes Leben begleiten würde, stöhnte laut auf, statt nach Rache zu brüllen, und schlug die Hände vor das Gesicht.
    Die Norweger sahen sich entsetzt

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