Das Drachenboot
ihm heraufblickten. »Ist deine ebenso berühmt?«
Der Wächter drehte noch nicht einmal den Kopf zu Folke hin, aber er spie aus. Spritzer beschmutzten den Saum des langen Kleides, das das Mädchen aus dem Dorf trug. Sie trat bescheiden zurück, ohne sich zu beschweren.
In diesem Moment schlug eine beringte Hand den Zelteingang zurück, und Högni selbst erschien. Er musterte nacheinander das Mädchen, Folke und seinen Mann. Seine Gesichtszüge waren schlaff wie die eines Franken, aber die Augen klar und wach. Auf Eystein blieb sein Blick mit mäßigem Vorwurf hängen. »Dein Geschäft ist das Bewachen, Eystein, meine Geschäfte erledige ich selbst«, sagte er und bat das Mädchen mit einer einladenden Handbewegung ins Zelt.
Sie trat hastig einen Schritt vorwärts, als hätte sie Angst, daß Eystein ihr Anliegen immer noch verhindern könnte, und während ihr Gesicht bereits durch den Schatten des Zeltdaches verdunkelt war, drehte sie sich nochmals um und sagte ruhig: »Mein Name ist Aud.«
Folke nickte, denn er war wohl gemeint gewesen. Dann nahm er seinen Sack auf, den er auf dem Schotter abgestellt hatte, und wollte zu Hjaltis Zelt hinübergehen.
»Einen Augenblick«, fauchte der bis dahin so wortkarge Wachposten von Högni und fing Folkes Ärmel mit der Spitze seines streitlustig gezogenen Dolches auf.
Folke blieb sofort stehen.
Der Mann meinte es ernst. »Högni duldet keine Einmischung in seine Geschäfte, das hast du ja gehört.« Während Folke bedächtig nickte, fuhr er fort: »Ich auch nicht. Merk dir das!«
Danach schob er Folke von sich fort, und dieser beeilte sich mit zusammengebissenen Zähnen, im Zelt der Norweger zu verschwinden. Er wußte doch, daß es in der Umgebung von Kaufmann Högni immer Ärger gab ... Und trotzdem würde er Aud auch ein weiteres Mal gegen diese unangenehme Kaufmannssippe helfen.
Hrolf und Aslak hatten ihre Schlaffelle bereits ausgebreitet: in der Mitte des Zeltes, in der Nähe des Feuers, wo sie behaglich sitzen und später auf allen Seiten beschützt von schwerbewaffneten Kriegern gut schlafen würden. Es wäre Folkes gutes Recht gewesen, ebenfalls auf einem der begehrten Plätze sein Lager aufzuschlagen, aber er mochte nicht, denn Hrolf und Aslak forderten ihn nicht auf, und Hjalti war tief in Gedanken. So rollte Folke sein Fell neben dem Eingang aus und setzte sich still darauf.
Nach und nach trudelten die Ruderer ein, die keine Pflicht am Zelt oder am Boot festgehalten hatte. Sie schwatzten, richteten sich ihr Lager ein und schnupperten in die Luft, um zu erraten, was sich im Kochtopf befand. Konnte ja sein, daß derjenige, der heute kochte, im Dorf etwas Besonderes angeboten bekommen hatte.
Allmählich aber merkte auch der letzte, daß irgend etwas schiefgegangen war. Die gewöhnlichen Alltagsgespräche hörten auf, und sie flüsterten miteinander. Folke, der sich von seinem Platz nicht gerührt hatte, hatte keine Ahnung, was an dem Handel mit Högni schiefgegangen sein konnte. Die Männer waren so sicher gewesen, daß er ihnen die Ware mit großem Gewinn auf beiden Seiten abkaufen würde. Die Zufriedenheit hatte er gespürt, wenn er auch immer noch nicht wußte, worum es bei diesem Handel überhaupt ging. Aber als die Fischsuppe aus mehreren Dorschen und Aalen in den Schalen der hungrigen Männer dampfte und das Bier, das Hjalti aus dem Schiff hatte hochschaffen lassen, ihnen die Zungen löste, erfuhr Folke endlich, was sie so mächtig ärgerte.
»Glaubst du vielleicht, Hjalti«, rief Bolli, der lieber ruderte als sprach, dessen Kopf aber längst nicht so schwer war wie sein Körper gewichtig, »ich lasse meine Söhne im nächsten Sommer unter meinen Mägden wildern, statt auf Sklavenjagd zu gehen? Es reicht, wenn ich ihnen den langen Winter über die Zügel anlegen muß. Im Sommer müssen sie weg vom Hof! Ich überlasse es Geirmund, was er mit ihnen machen will!«
»Aber was kann er denn machen?« fragte Frodi bitter.
»Ach«, rief Alf aus, der sich für die Nacht neben Hjalti eingerichtet hatte, »für deine Söhne wüßte ich eine Aufgabe! Sie sollen die Sklaven selbst in den Süden bringen. Ich bin dabei!«
Hjalti mußte lächeln über Alfs Überschwang. »So einfach ist es nicht«, gab er zu bedenken. »Wir sind den Kaufleuten nicht gewachsen, den christlichen noch weniger als unseren eigenen.« Er war aufgestanden, weil das, was er zu sagen hatte, für jeden gelten sollte, und mit jedem Wort wurde er ernster. »Die Welt verändert sich schnell. Vor
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