Das Drachenboot
Zelt hinüber. »Schnell ist er«, murmelte er, »aber manchmal denke ich, er weiß zwischen guter und gefährlicher Schnelligkeit nicht zu unterscheiden. Du hast es ja selber gesehen. Ich wünschte, er nähme Njörd ernster. Mit seinem Herzen hängt er ihm nicht an.« Hrolf seufzte sorgenvoll. »Wie lange wird Njörd das dulden?« Mehr wollte er dazu nicht sagen, als Folke nachfragte. Aber Folke verstand, daß er als Wachführer nicht immer mit dem Steuermann einverstanden war.
Aslak kam mit seinem Sack wieder herauf und ließ die Bodenbretter offen liegen. Da würden noch andere kommen und ihre Sachen holen. Die Männer verstauten sie fast immer in der Nähe ihrer Sitzbänke; im Vorschiff und im Achterschiff war allerdings der Platz knapp.
Hrolf griff seine Sachen und sprang hinaus, daß das Wasser aufspritzte. Er und Aslak machten sich sofort davon, ohne auf Folke zu warten. Folke nahm sich deshalb Zeit und räumte gemächlich einige Bodenbretter beiseite, bis sein Fellsack zum Schlafen und auch sein Packsack aufgedeckt waren, daneben das kleine Bündel mit den Werkzeugen. Eigentlich hatte er keine Lust, sich damit abzuschleppen, aber dann entschloß er sich endlich doch dazu. In der Bilge war es feuchter als im Zelt, und Nässe zerstört Werkzeuge. Als er das Bündel hochnahm, kullerten die Werkzeuge heraus. Ärgerlich fing er an, sie einzusammeln und durchzuzählen. Der Löffelbohrer fehlte.
Folke legte sich auf den Bauch und fühlte in den Fugen zwischen den geklinkerten Brettern. Je tiefer er in den Kiel hinuntergreifen mußte, desto mehr Schmutz bekam er zwischen die Finger: Sand, kleine Steine, Holzstücke, und was sich in einer Bilge so ansammelt. Ganz unten stand Wasser, und sehen konnte er kaum etwas. Aber der Bohrer war weg.
Verstimmt schnürte Folke das Bündel mit dem Lederriemen zu, wälzte die Ballaststeine an ihren Platz, deckte die Bilge wieder zu und verließ den »Grauen Wolf«. Ein Bohrer war kostbar. Wie sollte er seinem Vaterbruder den Verlust erklären, zumal er sicher war, das Bündel ordentlich verschnürt zu haben? Mit dem Sack über der Schulter und dem Werkzeugbündel unter dem Arm kam er bei den Zelten an.
Vor Högnis Zelt stand immer noch Eystein wie der Wächter Heimdall persönlich. Stur starrte er vor sich auf den Boden und wandte kaum die Augen, als eine junge Frau aus dem Dorf an ihn herantrat. Folke hatte sie bereits von ferne gesehen, denn der Weg ins Dorf war vom Strand gut einsehbar, und bisher war ihn noch niemand entlanggekommen. Sie war jünger, als Folke im ersten Moment gedacht hatte, denn die Unruhe, die in ihren Zügen lag, ließ sie gehetzt und streng wirken. Hastig strich sie die gelben Haarsträhnen hinter die Ohren, bevor sie geradewegs auf Eystein zutrat. Folkes Schritte wurden wie von selbst langsamer. Mit einer Aufwallung von Zärtlichkeit dachte er plötzlich an seine Frau. Auch sie trug am liebsten feingewebte Wollröcke mit blauer Kante.
Aber sie hatte es nicht nötig, auf dem Feld zu arbeiten - ganz im Gegensatz zu diesem Mädchen: weiße Streifen auf der Stirn und um die Augen stachen gegen das sonnengebräunte Gesicht ab. Was mochte das Mädchen von Eystein wollen?
»Ich würde gern mit deinem Herrn sprechen«, bat sie in diesem Moment mit leiser Stimme.
Eystein lachte auf. »Wenn du ein Mann wärst, hättest du dich für diese Worte bereits verteidigen müssen. Sehe ich so aus, als ob ich einen Herrn über mir duldete?«
»Nein, nein«, wehrte sie verlegen ab und hielt ein Ledersäckchen in die Höhe, das Folke erst jetzt bemerkte, und sagte noch leiser: »Ich habe mit Männern wie euch wenig zu tun, ich kenne eure Aufgaben nicht. Ich möchte gerne mit dem Kaufmann Högni sprechen, und wenn du dieser wärst, soll es mir auch recht sein.«
Folke mußte ihren Mut bewundern. Sie kannte die Männer nicht, aber Furcht hatte sie nicht vor diesem Tropf Eystein, und das geschah ihm ganz recht.
Eysteins Stirn legte sich in abweisende Falten, und er tat erstaunt. »Mit Kleinigkeiten geben wir uns nicht ab«, erklärte er knapp.
»Ich glaube nicht, daß ich Kleinigkeiten anzubieten habe.« Das Gesicht der jungen Frau lief dunkelrot an, und langsam ließ sie den Beutel sinken. Sie sah den Krieger bittend an. Aber Eystein dachte gar nicht daran, den Eingang freizugeben, und das Mädchen war ratlos.
»Högni ist in Haithabu bekannt für seine gute Nase bei Geschäften«, sprach Folke so laut, daß sogar die müßigen Männer der anderen Bootsbesatzungen zu
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