Das Drachenboot
Rat zu beherzigen. Es wurde immer nasser, der Pfad schien in ein Bachbett überzugehen. Plötzlich wurde es vor Folke heller, und Hrolf, der vor ihm kroch, sprang auf. Folke hörte seinen unterdrückten Ausruf.
Noch bevor er auf seinen eigenen Füßen stand, wußte er, daß ihre Suche beendet war. Frodi, auf seine Axt gestützt, blickte auf einen Mann hinunter, der der Länge nach auf einem kreuzenden Weg lag: Wertizlaw.
Folke wußte es, auch ohne das schwarze, fremdartige Gewand zu sehen. Wertizlaws Gesicht war mit einem schweren Gegenstand zerquetscht worden; die Gehirnschale war geplatzt, eine graue Masse hatte sich in den schwarzen Haaren verteilt. Fliegen krochen auf der Leiche herum. Hrolf trat mit angewidertem Gesicht zurück. »Glück hat uns der Mann nicht gebracht.«
Frodi preßte seine Lippen zusammen und schüttelte nur den Kopf. Es war nicht gut, den üblen Dämpfen eines erschlagenen Sklaven Einlaß in den eigenen Körper zu gewähren. Er wandte seinen Kopf ab, bevor er zu sprechen wagte. »Sollen wir ihn liegenlassen?«
»Wozu sollte der Mann ein Grab brauchen?« entgegnete Hrolf und drehte sich bereits um, um auf dem Weg, den der Sklave gekommen sein mußte, ins Dorf zurückzugehen. Nein, ein Grab natürlich nicht, dachte Folke. Aber das hatte Frodi wohl auch nicht gemeint. Er wollte sicherlich Hjalti beweisen, daß er den Mann gefunden hatte. Ihm selber war es gleich, ob Hjalti den Mann zu sehen bekam oder nicht. Seine Blicke konnten sich von dem Erschlagenen nicht trennen. In ihm begann eine Saite zu summen, die es ihm unmöglich machte, seinem Wachführer zu folgen. Damals, im Hain bei Haithabu, war es ähnlich gewesen ... Die Stimmen von Hjalti und Frodi entfernten sich und waren bald gar nicht mehr zu hören. Schließlich war er allein mit dem Rauschen der Buchen und Ulmen, dem Summen der Fliegen und dem Toten.
Irgend etwas störte ihn an dem Mann, und er zwang sich, ihn vom Kopf bis zu den Füßen zu betrachten. Das Gewand an der Schulter war zerrissen, jetzt mehr als vorher - das konnte freilich bei seiner Flucht durch den Wald passiert sein. Die dunkle Tunika, die er trug, war an der unteren Kante mit einer bunten Borte verziert; wahrscheinlich benutzten die Frauen der Slawen dieselben Brettchen wie ihre eigenen Frauen. Aber warum hatte einer ihn erschlagen, statt ihn einzufangen und an Hjalti auszuliefern? Er hätte einer Belohnung sicher sein können. Königsleute mußten großzügig sein, damit sie ihren Herrn nicht in Verruf brachten. Das wußten die Männer im Auftrag des Königs, und das wußten auch alle anderen.
Plötzlich überlief es Folke kalt. Jetzt merkte er, was ihn beunruhigt hatte: die Schuhe fehlten. Wertizlaw hatte Schuhe getragen, sie waren ihm deshalb aufgefallen, weil sie bewiesen, daß der Mann in seinem Dorf kein Sklave gewesen war. Vielleicht war er sogar ein geachteter und begüterter Mann gewesen.
Ohne Hemmungen bückte Folke sich und betrachtete die Fußsohlen des Toten. Wie er vermutet hatte: sie waren keineswegs schwarz von lange eingearbeitetem Dreck wie bei einem Sklaven, der nie Schuhe trägt. Ja, Wertizlaw konnte noch nicht einmal über den matschigen Waldboden gelaufen sein. Er hatte seine Schuhe gar nicht verloren - jemand hatte sie ihm ausgezogen.
Folke stand so langsam auf, als ob jemand ein Messer an seine Kehle gesetzt hätte. Gefahr lag in der Luft, aber als er sich verstohlen umsah, waren rings um ihn nur Büsche und Gras. Aber er fühlte, daß sein eigenes hugr ihm etwas sagen wollte. Wollte es ihn warnen? Mit Gewalt mußte er seine Angst unterdrücken. Plötzlich rannte er los.
Später wußte er nicht einmal, wie er vom Berg herunter und wieder ins Tal gelangt war.
Trotzdem traf Folke mühelos auf die Männer vom »Grauen Wolf«, die sich im Gelände zwischen den Häusern und der Fluchtburg versammelt hatten und sich besprachen.
Hjalti stand inmitten seiner Männer und redete. Der besonnene Mann des Königs schien jetzt zu allem entschlossen. Seine Augen waren schmal wie bei einem jagenden Luchs, und mit ebenso schmalen Lippen gab er seine Befehle. Die Männer lauschten, keiner widersprach. Denn keiner hatte soviel zu verlieren wie Hjalti. Es ging nun um seine Ehre, um sein Geschick, die Aufgabe durchzuführen, die sein König ihm anvertraut hatte. Was für ihn auf dem Spiel stand, war weit mehr wert als das Leben einiger Männer: es ging um sein Heil, und da der König sein eigenes Heil vor der Fahrt ins Slawenland zu dem von Hjalti gelegt
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