Das Drachenboot
keine Gegenwehr. Die Fischer gingen auch aus dem Weg, wenn auch zögernd, als die Männer begannen, in die Häuser einzudringen. Hjalti mußte irgend etwas zur Beruhigung der Leute gesagt haben, denn sie rührten ihre Waffen nicht an, und so kam auch niemand zu Schaden, nicht einmal die Hühner, die aufgeregt vor den Kriegern über den Weg flatterten. Diese hatten die Frauen nicht mehr einsperren können, wohl aber hatten sie die Kinder eingefangen; die Kleinsten schmiegten sich an die Röcke der Mütter und blinzelten mit einem halben Auge die gefährlichen Männer an. Folke schlenderte mehr oder weniger hinterher. Er hatte nicht die geringste Absicht, eines Sklaven wegen, den er weder gefangen hatte noch verkaufen wollte, mit einem Visbyer Streit anzufangen. Schließlich waren die Visbyer nahe Nachbarn der Haithabuer, und gute Schiffsbauer lebten sicherlich nicht unter ihnen. Folke hatte unter Thorbjörns Aufsicht gelernt, für die Zukunft zu planen. Er nutzte die Zeit, um sich unter den Leuten umzusehen. Zwischen den Hütten der ärmeren Fischer in Strandnähe und der Burg lagen am Hang die Häuser der Bauern; einige der Bauern blieben trotzig neben Frau und Kindern stehen, in der Hand die Axt. Immer noch war Hjalti ganz vorn, und neben ihm lief nun Alf; Folke merkte, wie der junge Mann vor Verlangen zitterte, in die Häuser zu stürmen. Aber immer wieder hielt Hjalti ihn zurück. Folke, der den Anführer beobachtete, merkte bald, warum Hjalti trotz allem als ein besonnener Mann galt. Auf dem Land war sein Augenmaß genauer als auf dem Schiff.
Vor einem der Häuser wäre Folke beinahe auf Aud geprallt, und erkannt hatte er sie nur deshalb nicht gleich, weil er gebannt auf die Axt starrte, die sie genau wie die Bauern vor sich auf den Boden gestellt hatte. Nur befanden sich hinter der Axt eben nicht kräftige Männerbeine, sondern ein Rock. Staunend betrachtete er sie und ihren Hof. Das Haus war in gutem Zustand, der Kalkbewurf weiß wie neu und das Dach frisch gedeckt. Hellgelb stach das Reet von dem grünbemoosten des Nachbarhauses ab. Und dennoch schien es kaum bewohnt zu sein: neben Aud stand ein Junge, der vielleicht acht Jahre alt sein mochte, und er konnte ebensogut ihr Bruder wie ihr Sohn sein. Hinter beiden tauchte in der Eingangstür eine alte Frau auf. Aber ein Mann war weit und breit nicht zu sehen.
Folke nickte Aud überrascht zu, und sie lächelte ihn trotz ihres angespannten Ausdrucks freundlich an. Dann aber flogen ihre Augen schnell und besorgt wieder über die fremden Männer, und Folke verstand, daß sie Angst hatte. Kein Wunder, wenn kein Mann auf dem Hof war. Hrolf, der weiter vorne gewesen war, hatte sich wohl nach Folke umgesehen und dabei entdeckt, daß dieser sich in aller Freundlichkeit mit einer Frau unterhielt. Mit langen Schritten eilte er herbei. »So, so«, sagte er und betrachtete Aud mit glänzenden Augen von Kopf bis Fuß, »mein junger Schützling ist an Bord noch nicht ganz flügge, an Land aber weiß er die weichsten Nester schneller als jeder andere zu finden.«
Folke wurde ärgerlich. »Auds Haus ist gewiß kein Nest, und ich bin auch kein Küken.«
»Oh, du kennst sie«, sagte Hrolf und strich sich schmunzelnd den kurzen Bart. »Um so besser. Vielleicht sucht die junge Frau ja auch kein Junghähnchen. Ich wüßte etwas besseres.«
Aud hatte sich bei dem Wortwechsel unter ihr Dach zurückgezogen. Als sie sich in ausreichender Sicherheit wußte, die Hand an der Türkante, und eigentlich auch ohne große Angst dem älteren Mann gegenüber war, antwortete sie schnippisch: »Was sollte wohl das bessere sein? Doch nicht ein zerrupfter alter Hahn?«
»Ich, ein zerrupfter alter Hahn?« fragte Hrolf empört. »Das hat mir meine Bera aber noch nie vorgeworfen.«
Folke lachte leise, und Aud fiel ein. Hrolf mochte bärbeißig wirken, aber er war nicht halb so gefährlich, wie er hätte sein wollen. »Vielleicht solltest du schnell zu ihr nach Hause fahren«, schlug sie vor. »Und du solltest auch nicht allzuviel von weichen Nestern erzählen, dann freut sie sich noch mehr.«
Hrolf blinzelte ihr zu und legte sich langsam die Axt wieder auf die Schulter. »Du hast recht mit beidem. Aber Bera kennt mich. Heimisch bin ich in einem fremden Nest noch nie geworden, selbst wenn es mit den weichsten Daunen gepolstert war.«
Da Hrolf sich nun zum Gehen wandte, hob Folke die Hand zum Gruß und war mit einem Satz an seiner Seite. Sein Wachführer nahm allmählich feste Umrisse an wie der
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