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Das Drachenboot

Das Drachenboot

Titel: Das Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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um ihn. »Auf, zu Högni!« bellte Hjalti und setzte sich in Bewegung. Nur Bolli warf Folke im Vorüberlaufen einen Brocken hin, an dem er kauen konnte: »Haithabu-Kaufleute vielleicht. Aber mit Haithabu-Leuten wollen wir nichts zu tun haben.« Folke war ein Haithabu-Mann, heute mehr denn je. Trotzdem lief er mit, enttäuscht und ratlos. Was hätte er sonst tun sollen?
    In der Ansiedlung waren weder Frauen noch Kinder zu sehen. Die Stimmung war plötzlich feindlich. Alle Haustüren waren zu, auch die von Auds Haus. Als Folke an ihm vorüberkam, konnte er sich gut vorstellen, daß Aud von innen beide Querbalken vorgelegt und mit schlagbereiter Axt dahinter stand.
    Das Laufen bereitete ihm trotz des Verdrusses wie immer sinnliches Vergnügen. Er mußte an sich halten, um sie nicht alle zu überholen, und hatte viel Zeit, die anderen zu beobachten. Zum Beispiel um festzustellen, daß Alf mit seinen kantigen Bewegungen etappenweise wie ein Hase vorankam. Oder Frodi, der ein ausdauernder, wenn auch nicht besonders schneller Läufer war. Und Bolli, der wie ein Fellball beim skinnlek vorwärtshüpfte.
    Das Dorf kümmerte die Norweger nicht. Sie durchquerten es unbeachtet. Am Strand stand ihr eigenes Zelt, wie sie es verlassen hatten, und die Achterschiffswache daneben. Aber Högnis Zelt war weg und sein Knorr ebenfalls. Nur die flachgetretenen Strandgräser und ein Haufen abgenagter Kaninchenknochen bezeugte, daß hier bis vor kurzem Menschen gelagert hatten.
    Die Männer erhoben ein Wutgebrüll, während die Ruderer der Schiffswache sich mit betretenen Gesichtern unter die übrigen mischten und ahnten, daß etwas nicht stimmte. »Sie sind noch nicht lange weg«, sagte Finn zu Hjalti.
    »Wir holen sie ein!« drängte Alf.
    Hjalti blickte sinnend auf das Meer hinaus. Zu sehen waren weder Mast noch Segel, und das konnte auch gar nicht anders sein, denn Högni war natürlich auf dem offenen Meer sofort auf Südwestkurs gegangen. »Wann sind sie aufgebrochen?« knurrte er.
    »Vor dem vierten Teil einer Wache«, erklärte Finn bestimmt und drängte sich zu Alf hindurch.
    »Länger.« Der zweite Mann der Wache kaute lässig auf einem Grashalm herum und schüttelte den Kopf. »Die sind schon weit weg.«
    Finn zuckte mit den Schultern. Der andere war wesentlich älter und erfahrener, und er hatte keine Lust, sich mit ihm anzulegen. »Aber wir schaffen es trotzdem«, beteuerte er, und Alf schlug aufreizend mit seinem Speer auf den Schild. Auch Hrolf gefiel die Idee. »Wir bohren sie in den Grund, ehe sie Schleimünde auch nur sehen können«, rief er. »Wir waren höchstens eine halbe Wache unterwegs, und als wir fortgingen, saß Högni vor seinem Zelt und schärfte sein Schwert. Sein Boot kann außerdem nicht schnell sein, so wahr ich hier stehe! Los, Hjalti, laß uns fahren! Fünf Mann können hierbleiben und unsere Sachen bewachen.« Er hatte kaum ausgesprochen, als Bewegung in die Männer kam; keiner wollte zurückbleiben. Die ersten rannten bereits ins Zelt, um ihre übrigen Waffen zu holen. Nur Hjalti rührte sich nicht. Er hatte mehr zu bedenken als den Gegenwert eines Sklaven. Obwohl knappe zwei Stunden Vorsprung bei einem schwerfälligen Knorr nicht viel war, gemessen an der Schnelligkeit eines Kriegsschiffes. Sie würden Högni einholen können.
    Folke schüttelte den Kopf. Natürlich würden sie Högni einholen können, obwohl sein Boot nicht gerade langsam war - da irrte Hrolf. Er kannte es nämlich. Aber wozu? Nur um festzustellen, daß er mit dem Tod des Sklaven gar nichts zu tun hatte? Der war doch für ihn völlig unwichtig! Aber würden die Männer das überhaupt bemerken? Womöglich würde Högni erschlagen sein, bevor er wußte, worum es ging. Unzufrieden setzte sich Folke auf den Baumstumpf, der vorher Högnis Sitzplatz gewesen war. Er verwünschte die ganze nutzlose Fahrt.
    Der Strand war leer. Die Fischer hatten sich genauso unsichtbar gemacht wie die Frauen und Kinder und sogar die unvernünftigen Hühner. Nur die aus den Häusern quellenden Rauchschwaden bewiesen, daß das Dorf noch belebt war. Und daß das Wetter sich verschlechterte: der leichte Nieselregen der vergangenen Stunden ging allmählich in heftige Schauer über.
    Die Regenböen verwirbelten den Rauch und drückten ihn zuweilen bis zum Boden. Während Folke auf Hjaltis Entscheidung wartete, schob er gedankenlos Baumrinde und Steine vor seinen Schuhen her.
    Plötzlich sah er einen Gegenstand im Sand glänzen, den er vorher übersehen hatte.

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