Das Drachenboot
Rechtsbestimmungen waren sie dazu auch nicht verpflichtet, und die Sippe konnte Hjalti keinen Vorwurf machen. Hrolf und Aslak nahmen ihre Waffen auf und stiegen vor ihrem Schiffsführer zum Ufersaum hinunter. Kurz danach wirbelten einunddreißig Ruder das Wasser auf, der »Graue Wolf« nahm Fahrt auf und wurde in der Bucht von Visby von den Regenschwaden des Herbsttages aufgesogen.
Erleichtert sahen ihnen die Männer und Frauen des Dorfes nach. Kriegsschiffe sahen sie lieber gehen als kommen, obwohl sie auch die Handelsschiffe nur widerwillig duldeten.
Schiffbruch
6
Njörds wilde Töchter
»Der ist bestimmt mit Högni nach Haithabu zurückgefahren«, keuchte Ulf, auf dessen Seite nun ein Ruderer fehlte. Redlich versuchte er, noch mehr Kraft als vorher in seinen Schlag zu legen.
Niemand im Vorschiff antwortete. Der Wind stand fast genau gegenan und war nicht schwächlich. Folke machte seine Schultern rund, um ihm so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Seine dichtgewebte Lodentunika war trotzdem durchgeweicht, noch bevor sie im offenen Wasser angekommen waren.
Draußen rollten unaufhörlich hohe Wellen auf Erri zu. Den »Grauen Wolf« warfen sie hin und her, als die Männer endlich die Ruder einzogen, um das Segel zu setzen. Bei diesem Wetter war das Segelsetzen Schwerstarbeit. Beide Wachen mußten mit anpacken. Trotzdem waren sie in guter Stimmung. In drei oder vier Tagen würden sie ihre Frauen, die Kinder, die Höfe wiedersehen. Manche Männer würden ihr neugeborenes Kind zum ersten Mal aufs Knie setzen. Und der Sohn oder die Tochter würde endlich den Namen erhalten, der ihm oder ihr bis zur Heimkehr des Vaters vorenthalten worden war. Wer wußte, daß ihn der jüngste Sproß erwartete, dachte bereits über den künftigen Namen nach. Die Älteren unter den Männern hatten weniger glückliche Gedanken. Oft genug kam es vor, daß einer nach seiner Heimkehr den liebsten Verwandten nur noch im Hügel hinter dem Hof begrüßen konnte. So mischte sich auch ein wenig Nachdenklichkeit unter die Freude. Folke aber war unendlich erleichtert, daß nun die Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt waren. Als sie die Schoten und Brassen dichtgesetzt, die Taue aufgeschossen und an den Holznägeln aufgehängt hatten, beugte Folke sich zu Ulf hinüber. »Wenigstens brauchst du heute nicht deinen Schild zu retten.«
Ulf grinste schadenfroh. »Heute kriegt Högni Svens Morgenmahl in seine kostbaren Handelsgüter. Geschieht ihm ganz recht. Der Kaufmann hat schließlich genug davon.« Folke strich sich die Haare aus dem Gesicht und nickte. Für seinen Geschmack war der Kaufmann reichlich hochnäsig. Ein kleiner Dämpfer war ihm zu gönnen, vor allem auf diese Weise, die entwürdigend war, ohne Rachegefühle zu erlauben, und also viel schlimmer.
Aber dann befiel ihn plötzlicher Zweifel, ob Sven wirklich zurückgefahren war. Seine Verwandten hatten nicht so ausgesehen, als ob sie Sven jemals wieder in ihrer Nähe dulden wollten. Und wer hätte das besser gewußt als Sven selber? Möglicherweise war Sven gar nicht an Bord von Högnis Knorr, sondern wartete auf Erri besseres Segelwetter und eine weniger rauhe Schiffsgesellschaft ab. Womöglich wollte er ja plötzlich nach London. »Weißt du eigentlich, warum der überhaupt an Bord war?«
Ulf schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf. »Sollte wohl nach Halland, hörte ich. Aber Lust hat er nicht gehabt, das sah man ja.«
Nach Halland, soso. Das lag an der Westküste des schwedischen Gebietes, dort wo die Götar wohnten. Aber wer wußte, ob er da je ankommen würde. Sven war so unentschlossen und wechselhaft wie eine Moorkröte gewesen, mal hierhin, mal dorthin, erst grün, dann braun, dann alles beides . Während der »Graue Wolf« sich langsam mit gerefftem Segel am Wind seinen Weg bahnte, dachte Folke über seinen sonderbaren Rudergenossen nach. Sven schien zu den Männern zu gehören, die zeitlebens auf einem Hof sitzen und deren Gemüt durcheinandergerät, sobald sie ihn verlassen.
Keiner von denen, die ausfahren, um sich Ruhm zu erwerben. Und doch hatte er nach Halland gewollt . Folke fiel mitten in seinen Überlegungen wieder ein, daß der Löffelbohrer in seinem Wams ihn beim Rudern behindert hatte. Und man konnte nie wissen, wann es mit dem Rudern wieder losging . Er zog ihn aus dem Wams, tauchte ihn an beiden Seiten tief in das Fetthorn, um den Bohrer gut zu schützen und verwahrte beides wieder sorgfältig in seinem
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