Das Drachenboot
Sinnen des schlechten Gewissens ärgerte sich darüber nicht wenig. Freiwache war kein Freibrief für alles. Er antwortete nicht, aber als er den Eimer erneut gefüllt hatte, bekam Alf einen tüchtigen Guß ab. »Hör mal«, sagte Alf, während er seine Gamaschen mit so viel unnötiger Kraft ausdrückte, daß er Folke den Treffer bestätigte, »hast du nicht vielleicht vergessen zu ösen? Bei meiner Öswache habe ich noch nie erlebt, daß da so viel Wasser drin gewesen wäre.« Er sprach absichtlich laut und lugte unter seinen langen Haaren nach allen Seiten, um festzustellen, ob die Männer des Achterschiffs ihn gehört hatten.
»Nein!« knurrte Folke kurzangebunden und schleuderte das Wasser förmlich hinaus. Alf war unfriedlich wie das Eichhörnchen in der Weltesche Yggdrasil, und er würde sich hüten, sich mit ihm anzulegen. »Warum denn dann so schnell?« reizte Alf. »Damit ich fertig werde«, antwortete Folke sachlich und kümmerte sich nicht darum, daß Wassertropfen spritzten und die Männer auf den nächstgelegenen Plätzen sich zurücklehnten, um ihnen auszuweichen. Dann fiel ihm etwas ein, und er blieb mit dem tropfenden Eimer neben Alf stehen. Er sah, wie Alfs spöttischer Blick sich von der Wasserlache löste, zu Folkes Gesicht hochkroch und langsam argwöhnisch wurde. »Wer hatte eigentlich die Öswache im Hafen? Ich frage nur für den Fall, daß tatsächlich jemand das Ösen vergessen haben sollte.«
Anscheinend war sein Verdacht richtig gewesen. Alf blühte auf wie ein reifer Haithabuapfel und lehnte sich schweigend nach vorn, um die feuchten Gamaschen glattzuziehen. Folke knallte verärgert den Eimer auf die Bank neben den vergeßlichen Ruderer. »Da, schöpf du deinen eigenen Anteil!« verlangte er. Ohne ein weiteres Wort ging er nach vorne; und obwohl er sah, daß ihn die Männer wie einen Fremden musterten, war er zu stolz und auch zu störrisch, um vor ihnen Rechenschaft abzulegen. Wenn sie wieder zu Verstand kamen, würden sie schon merken, daß er recht hatte. Jedoch, so schnell wie Gerüchte von Dorf zu Dorf laufen, so schnell wußten auch die Männer mittschiffs und vorne, was vorgefallen war. Bolli blickte kaum auf, als er vorbeikam. »Mach dir keinen Ärger, Bootsbauer«, brummte er, und Folke begriff, daß es ein gutmütiger Rat sein sollte. Aslak war an den Zeltbahnen zugange und hatte anscheinend keine Zeit, sich um die Sache eines Mannes aus seiner Wache zu kümmern, obwohl Folke halb und halb schon erwartet hatte, daß er für Alf Partei ergreifen würde. Aber Aslak sprach ihn nicht an, und das konnte dann ja wohl nur bedeuten, daß er ihm im stillen recht gab. Hrolf würde das vermutlich lauter tun können als Aslak. Folke arbeitete sich mit grimmiger Rechtschaffenheit nach vorne durch, vorbei auch an Frodi, der unablässig schöpfte. Und dann sah er Hrolf.
Hrolf stand breitbeinig, um das Gleichgewicht im Rollen des Bootes nicht zu verlieren, zwischen den Bänken und blickte Folke entgegen. »Deine Arbeit ist nicht zu Ende«, schnauzte er. »Oder müssen Haithabuer zwischendurch ausruhen?«
»Aber er...«, fing Folke wütend an und deutete nach hinten.
Er wurde von Hrolf unterbrochen. »Nicht er, du.« Folke sah seinen Wachführer empört an. Aber in Hrolfs Augen fand er kein Verständnis. Da war nur Ärger über einen Streit, den ein Mann aus seiner, Hrolfs, Wache ohne Not vom Zaun gebrochen hatte.
Folke ballte die Fäuste und kehrte um. Keiner sagte etwas zu ihm. Alf hatte nur Augen für die Küste. Und diese zog so langsam vorüber, daß seine Zufriedenheit eigentlich nicht daher rühren konnte, daß sie nun bald Erri hinter sich lassen würden.
Erst als Folke schon lange fertig war und eine Weile mürrisch auf seinem Platz gesessen hatte, beugte sich Frodi unauffällig zu ihm hinüber und flüsterte: »Das zahl ich dem heim, du kannst dich darauf verlassen.«
Es war für Folke wenig tröstlich, daß Frodi genauso wie er selber unter Alfs Schlampigkeit hatte leiden müssen, denn damit hatte er ja noch keine Genugtuung erhalten. Er wollte keine Rache wie Frodi, sondern Rechtfertigung vor Hjalti und Hrolf, und das war etwas ganz anderes.
Trotzdem nickte er Frodi zu und versank dann wieder in Schweigen. Diese Norweger dachten anders als er und Aasa und sogar der Wikgraf von Haithabu: sie boten Freundschaft oder Feindschaft, und entschieden sich auf der Stelle für das eine oder das andere. Und das war alles. Auch mancher Mann in Haithabu hätte gesagt: Das ist alles; mehr
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