Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
standen, ließ er sie los. Sie rieb sich die schmerzenden Rippen.
»Was ist nur in dich gefahren? Wer war dieser Mann, der gegen den Vampir gekämpft hat?«
Seradir keuchte und strich sich mit einer fahrigen Bewegung das blauschwarze Haar aus dem Gesicht. »Das war Astorin!«
Lamina schluckte. »Bei den Göttern! Meinst du, er konnte uns sehen?«
Seradir zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dennoch wollte ich nichts riskieren. Er hat das Tor gebaut. Nur er kann sagen, welche Magie in ihm steckt.«
»Dieser Blick, er ging mir durch Mark und Bein.« Lamina schauderte. »Fast empfand ich so etwas wie Mitleid mit der Frau – und mit dem Vampir!«
Seradir nickte. »Ich weiß, was du meinst.«
Lamina ließ es zu, dass er ihr den Arm um die Schulter legte und sie in den Palas zurückbegleitete. Dieses Mal wollte er hinter ihr in ihr Gemach treten, aber Lamina schüttelte den Kopf. Seine Züge erstarrten zu der Maske, die sie nie wieder zu sehen gehofft hatte.
»Ich möchte in Ruhe darüber nachdenken, was wir in dem Spiegel gesehen und gehört haben«, sagte sie.
Seradir neigte den Kopf. »Ja, vielleicht ist es gut, wenn wir uns alles notieren, woran wir uns erinnern können. Wer weiß, auf welches Detail es einmal ankommen wird.«
Er lächelte. »Ich werde Cordon um Papier und Feder bitten.«
»Ja, tu das, mein Freund. Auch ich werde alles aufschreiben, was mir noch im Gedächtnis ist.«
Sie schloss die Tür, doch statt an ihren Sekretär zu gehen, ließ sie sich in den Sessel am Fenster fallen und starrte hinaus. Sie stand an einem Abgrund, über den nur eine schmale, schwankende Brücke führte. Sie konnte umkehren und den breiten Weg zurück ins Tal nehmen oder sich auf die Bretter hinauswagen, von denen sie nicht wusste, ob sie ihr Gewicht tragen würden. Lamina stand auf und trat zur Wiege. Sie sah auf ihren schlafenden Sohn hinab. Wie prächtig er sich entwickelte! Er war ihre Freude und ihr Leben. Er brauchte sichere Mauern um sich herum und eine Mutter, die ihn an der Hand nahm, bis er Schritt für Schritt sein eigenes Leben führen konnte. Durfte sie diese Sicherheit in Gefahr bringen?
Aber was würde geschehen, wenn sie es nicht tat? War sie das Zünglein an der Weltenwaage? Durfte sie sich verstecken und sich der Verantwortung entziehen? Sie dachte an Rolana, die den schweren Weg ohne Zögern auf sich genommen hatte, und schämte sich, dass sie zauderte. Lamina warf sich einen einfachen Umhang über und eilte aus dem Palas.
*
»Ah, welch Sonnenstrahl in meinem düsteren Kerker!«, begrüßte Tom die Gräfin spöttisch. Lamina schloss die Tür hinter sich. Sie wusste, dass Thomas auf der anderen Seite stand und sie hören konnte, wenn sie die Stimme erhob. Er würde nicht zögern und mit blanker Waffe hereingestürmt kommen, sollte sie ihn brauchen. Doch es war nicht das Wissen um ihren Hauptmann vor der Tür, das ihr Sicherheit gab. Sie vertraute dem jungen Mann, der sich nun erhoben hatte und mit trotziger Miene und verschränkten Armen vor ihr stand.
»Das ist kein Kerker und es ist auch nicht düster hier«, korrigierte ihn die Gräfin.
Tom zuckte mit den Schultern. »Die Tür ist verschlossen und das Fenster zu schmal, um zu fliehen. Es ist ein Gefängnis, egal, ob es mit Binsen oder Teppichen ausgelegt ist, ich auf einer Pritsche oder in einem Bett schlafe. Es hält mich fest. Ich kann nicht auf mein Schiff zu meiner Mannschaft zurückkehren und wieder in See stechen.«
»Es tut mir leid«, sagte Lamina und schlug die Augen nieder. »Darf ich mich setzen?«
»Es ist Euer Turm und Eure Burg, Gräfin, und ich bin Euer Gefangener. Tut, was Euch beliebt.«
Lamina setzte sich auf einen Hocker und faltete die Hände um ihre Knie. »Sei nicht so verbittert. Es war ein unglücklicher Zufall, dass du mit deiner Mannschaft gerade zu dem Zeitpunkt in Dijol warst, als ich mit meinen Männern kam – nun ja, um meinen abtrünnigen Dörflern das Handwerk zu legen.«
»Deinen Dörflern!«, wiederholte er.
»Ja! Sie sind der Grafschaft Pacht und Zehnt schuldig, die sie lieber an gewisse Piraten verkauft haben! Außerdem haben sie mich bedroht, als ich kam, um ihnen Hilfe anzubieten!« Tom sagte nichts.
»Piraterie ist ein Verbrechen, und das weißt du.«
»Danke für die Belehrung, Frau Gräfin. Seid Ihr gekommen, um mir mitzuteilen, dass mein Galgen bereitsteht?«
»Du bist ungerecht«, sagte Lamina leise. »Hätte ich nicht das Recht, alle Piraten dieser Welt zu hassen und ihnen den Tod
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