Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
und ließ sich die beiden Stufen hinabhelfen. Ihr Blick huschte zu den Zinnen hinauf. Der Himmel verblasste bereits. Die Sonne war untergegangen. Astorin hatte sich vom Pferd geschwungen und war an die Kutsche getreten.
»Lass uns sehen, ob wir hineinkommen«, drängte der Magier. Tonya nickte nur und versuchte, die Beklemmung abzuschütteln, die wie ein schwerer Mantel auf ihr lastete. Sie wusste, dass es zu spät war. Sie konnte seine Gegenwart spüren, seinen Blick, der über sie hinwegglitt, doch sie vermochte kein Wort zu sagen, um Astorin zu warnen. Das war allerdings auch nicht nötig. Der Burgherr hatte anscheinend nicht vor, ein Versteckspiel zu beginnen. Noch ehe Tonyas Begleiter auch nur einen Schritt auf das Portal zumachen konnte, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten und glitt auf sie zu. Der Graf bewegte sich so lautlos und schnell, dass man ihm mit dem Blick kaum folgen konnte.
Tonya hörte den Kutscher hinter sich stöhnen. Vielleicht wurde ihm jetzt klar, auf was für eine Mission man ihn geschickt hatte.
»Willkommen auf Draka!« Die Stimme klang glatt und schmeichelnd. Der Graf trat zuerst auf Astorin zu und musterte ihn. Die Männer verneigten sich höflich voreinander und stellten sich vor. Zumindest der Gastgeber blieb bei der Wahrheit, während der Magier einen unscheinbaren Namen wählte.
»Erfreut«, sagte der Graf und neigte noch einmal den Kopf. Ob er ihm glaubte, konnte Tonya nicht sagen. Dann kam der Graf auf sie zu. Er war sehr groß mit drahtig schlankem Körperbau und der blassen, fast durchscheinenden Haut, die Vampiren zu eigen ist. Seine Augen waren von tiefem Schwarz mit einem rötlichen Glitzern, wenn das Licht sie traf.
»Und wer ist Eure reizende Begleiterin?«, schnurrte der Graf und stand auch schon vor ihr, um nach ihrer Hand zu greifen. Kalte Lippen huschten über ihre Fingerspitzen und jagten ihr – trotz der Handschuhe, die sie trug – einen Schauder durch den Körper. Hatte sie ihm ihre Hand denn gereicht? Tonya wusste es nicht. Sie fühlte nur, dass zwei Mächte in ihr kämpften und sie verwirrten.
Verwirrt schien allerdings auch der Graf zu sein. Zumindest glaubte sie in seinen Augen kurz ein Flackern der Unsicherheit erkennen zu können. Er wich einen Schritt zurück und musterte sie eindringlich. Vielleicht konnte er das Amulett ihres Dämonen spüren? Oder ihre ganz besonderen Kräfte? Es war nun an ihr, sich vorzustellen. Wie sollte sie sich nennen?
»Das ist meine Nichte Tonya aus dem Bärental«, hörte sie Astorin mit Ungeduld in der Stimme. Vermutlich war er erzürnt, dass sie die Möglichkeit verpasst hatten, das Schloss zu untersuchen, ehe der Graf aus seiner Gruft gestiegen war oder wo er sonst die Tage zubrachte. Nun mussten sie eine ganze Nacht überleben, bis sich wieder eine Möglichkeit auftat. Als ihr bewusst wurde, was sie eben gedacht hatte, erschauderte sie erneut.
»Welch wundervoller Zufall hat Euch hierher geführt, um mir heute Abend die Langeweile zu vertreiben?« Die Lippen des Grafen teilten sich und ließen seine weißen Zähne aufblitzen.
»Ja, ein Zufall«, nahm Astorin den Faden auf, »der uns vom Weg abkommen ließ und hier auf den Berg geführt hat. Wir müssen Euch also um ein Nachtlager bitten.«
Graf von Draka schien in sich hineinzulachen. Ob er sich nur über die unerwartete Beute freute oder über die fantasielose Ausrede amüsierte, konnte Tonya nicht sagen. Er bot der jungen Frau den Arm.
»Dann kommt herein, werte Gäste. Ich habe hier in meiner Burg nicht häufig Besuch, der die Einsamkeit vertreibt. Eure Gemächer werden bald gerichtet sein. Bis dahin folgt mir in die Halle, esst und trinkt und erzählt mir die Neuigkeiten aus den Welten draußen. Für Euren Kutscher und die Pferde wird gesorgt.«
Tonya warf Ramon noch einen Blick zu. Seine Angst war nun fast greifbar, und sie konnte ihm nicht einmal sagen, er bräuchte sich nicht zu sorgen. Auch die Kutschpferde wieherten nervös und stampften mit den Hufen auf. Nur Astorins Ross stand reglos da, als wäre es eine Statue.
»Ihr habt ein ungewöhnliches Reittier«, sagte der Graf, als sie auf die Flügeltüren zutraten.
»Ja, es ist ungewöhnlich ausdauernd und schnell. Erstaunlich, was Magie alles vermag«, antwortete Astorin kühl. Graf von Draka nickte nur und musterte den Besucher aufmerksam. Die Türen schwangen wie von Geisterhand auf. Wie tröstlich wirkte das weiche Licht der Kerzen, das durch das Tor in die kühle Nacht hinausströmte. Tonya
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