Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
»Vielleicht hat er die Verträge geschrieben oder zumindest gelesen und kann uns sagen, wo das Anwesen liegt.«
Der Schreiber war ein hoch aufgeschossener Mann, mager und mit gelblicher Gesichtsfarbe. Seine knochigen Finger waren von Tintenflecken übersät. Er kniff unwillig die Lippen zusammen, als er hörte, warum man ihn vor Sonnenaufgang aus seinem Schlaf gerissen hatte. Es benötigte noch einmal Rolanas beschwörender Stimme, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Zufrieden sahen sich die Freunde an und entließen den Mann, der sich grummelnd entfernte.
»Nun, dann werden wir dem Eibenhof mal einen Überraschungsbesuch abstatten«, sagte Thunin und strich über den Griff seiner Axt.
»Sollen wir ein paar unserer Männer mitnehmen?«, schlug Gynor vor.
Thunin sah den anderen Zwerg ablehnend an. »Ich kämpfe lieber mit Gefährten, von denen ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann.«
Gynor hob gleichgültig die Schultern. »Das müsst ihr wissen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Männer er dort postiert hat, aber vermutlich werden es nicht allzu viele sein. Eher ein paar Mädchen für seine speziellen Vorlieben.« Er grinste anzüglich, wurde dann aber wieder ernst.
»Ich bring euch jetzt zum Gasthof zurück. Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich euch gern begleiten. Wäre mir eine Freude, den alten Ferule aus den Klauen der Hexe zu befreien.«
»Aber sicher doch!« Ibis schlug ihm auf den Rücken. »Hab mich schon wieder ganz an deine Gesellschaft gewöhnt.« Die anderen sagten nichts, nur Thunin schaute finster drein. War er eifersüchtig auf den anderen Zwerg?, fragte sich Rolana, die seine widerstreitenden Gefühle spürte. Ibis war für ihn Gefährtin und Tochter, und er sah es sicher nicht gern, dass sie sich wieder mit den Männern der Unterwelt anfreundete. Rolana konnte nur ahnen, wie viel Kraft und Geduld es Thunin gekostet hatte, eine – wie er sagte – anständige Elbe aus Ibis zu machen.
Sie ließ sich auf dem Rückweg ein wenig zurückfallen, bis sie neben dem Zwerg ging, der seine Axt in beiden Händen hielt und den Blick misstrauisch nach allen Seiten schweifen ließ.
»Du musst dir keine Sorgen um Ibis machen«, sagte Rolana leise. Thunin brummte nur.
»Ich spüre es. Sie liebt dich und ist uns und unserer Aufgabe zu sehr verbunden, als dass sie auch nur erwägen würde, uns im Stich zu lassen.«
»Natürlich ist sie das«, fauchte er. »Sie wird für dich und die anderen einstehen, und wenn sie dafür in den Tod geht!«
Rolana legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich weiß«, sagte sie sanft. »Ich würde ihr jederzeit wieder mein Leben anvertrauen.«
»Ja, ich auch«, sagte er, und sie spürte den Stolz in seinen Worten und die Liebe in seinem Blick, der auf dem Rücken der Elbe ruhte, die beschwingt neben Gynor herschritt.
9
Dijol
Das Mahl war bereits aufgetragen, als Tonya hinter dem stummen Diener den Speisesaal betrat. Der Graf saß am Kopfende der Tafel und erhob sich, als sie an den Tisch kam. Astorin saß zu seiner Rechten, doch so weit weg, dass die Männer sich mit ausgestreckten Armen nicht hätten berühren können. Der Magier hob nur den Kopf. Er erwies ihr nicht die gleiche Höflichkeit wie der Hausherr und blieb sitzen. Dafür starrte er sie unverhohlen an. Tonya sah ihren Verdacht bestätigt, dass das Kleid, das der Graf ihr empfohlen hatte, ein wenig zu tief ausgeschnitten und sehr aufreizend war.
»Welch ein Anblick!«, gurrte der Hausherr und nahm ihre Hand, die in einem Seidenhandschuh steckte, um die Fingerspitzen zu küssen. Sie spürte den Widerstand, den er nur mit Mühe überwinden konnte, doch er ließ sich nichts anmerken. Seine Hand fühlte sich nicht so kalt an wie noch zuvor im Hof.
Vielleicht reizte es ihn, dass sie nicht wie alle anderen Frauen war, und er würde sich voller Neugier daranmachen, ihr Geheimnis zu ergründen. Sie widerstand nur schwer der Versuchung, nach ihrem Amulett zu tasten, das sie sich unter dem Kleid um die Taille gebunden hatte.
»Setzt Euch, meine Liebe, und greift zu. Verzeiht das fantasielose Mahl. Wir waren auf Gäste nicht eingerichtet, und ich bevorzuge – ganz einfache Kost. Doch ich hoffe, es mundet Euch dennoch.« Er ließ sich wieder in seinem Sessel nieder und hob auffordernd die Hände. Zwei Diener traten heran und legten den Gästen Fleisch, Brot und Früchte auf. Es wunderte Tonya nicht, dass der Teller des Grafen leer blieb und er nur an seinem Zinnkelch nippte. Sie dachte lieber nicht
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