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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Rücken. Seine Handfläche war voll Blut. Er öffnete den Mund, doch kein Laut kam über seine Lippen. Dann strich er Magauras Haare zur Seite. Leuchtendes Blut strömte ihr über den Hals. Einer der Felsen hatte ihren Nacken durchbohrt.
    Alasar starrte sie an. Das Blut verdunkelte ihre Kleider. Ohne sich bewegen zu können, hielt er Magaura fest.
     
    Die Höhlenkinder wichen erschrocken vor ihm zurück, doch niemand wagte sich ihm zu nähern oder ihm Hilfe anzubieten, als er Magaura durch die Gänge trug. Sie hinterließ eine tropfende Blutspur, doch Alasar schien es nicht zu bemerken. Seine Augen waren in eine Ferne gerichtet, die keiner außer ihm sehen konnte.
    In einer kleinen Steinhalle hielt er an. Sanft bettete er Magauras reglosen Körper auf eine Felserhöhung und glättete ihre Kleider. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und drückte sie leicht gegen ihren Hals, um die Wunde zu verbergen.
    »Ruft Tivam«, befahl er den Umstehenden abwesend. Als Tivam kam, begleitete ihn Igola. Ihre Hände umklammerten seine Schultern, entweder aus Furcht um ihn oder um sich auf ihn zu stützen. Im Eingang der Halle blieben sie stehen.
    Endlich drehte Alasar sich zu ihnen um. »Du weißt, was los ist?« Tivam zwang sich zu einem knappen Nicken. »Wo ist Rahjel?«, rief Igola. »Was hast du mit ihm gemacht? Er ist doch kein Verräter!« Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu schluchzen.
    »Rahjel …« Alasar atmete schwer. »… Rahjel hat Magaura getötet.«
    Fassungslos blickte Igola die Tote an. »Nein«, sagte sie schrill. »Nein, das ist nicht wahr. Rahjel hat niemanden umgebracht. Das würde er nie tun, nein, niemals.«
    Alasars Hand glitt von Magauras Gesicht. Er ließ die Schultern hängen und starrte Tivam an. »Tivam, hör mir zu. Du bist ein treuer Kämpfer der Höhlenkinder. Ich habe Respekt vor dir. Du kannst wählen, ob dir unser Reich wichtig ist oder ob du versuchen willst, dich an mir zu rächen. Denn ich habe deinen Bruder getötet.« Igola stieß ein Heulen aus und stürzte zu Boden.
    Tivam stand still, mit seiner ohnmächtigen Mutter hinter sich und dem Mörder seines Bruders vor sich. Seine Fäuste waren geballt. Tränen stiegen ihm in die Augen, doch er schluckte sie immer wieder hinunter. Dann ließ er sich auf die Knie fallen und stützte beide Hände auf den Boden. »Nichts ist wichtiger als unser großes Ziel. Es leben die Höhlenkinder!«
    Alasar nickte, dann drehte er sich wieder zu Magaura um. Seine Hände glitten gedankenverloren über ihren Arm … er berührte den goldenen Armreif und nahm ihn an sich. Fest schloss er das schöne Geschmeide in seine Faust.
    »Bewache sie, Tivam«, sagte er leise, als er die Höhle verließ. Tivam blickte ihm weinend nach.
     
    Es dämmerte. Der Himmel war fast wolkenlos und die Luft so kalt, dass jeder Atemzug Alasar in die Lungen schnitt. Im Westen hingen zarte Wolkenschleier am Horizont und filterten die letzten Sonnenstrahlen. Ein unwirkliches, blassgelbes Licht beschichtete die Trümmer, als wären sie verschwommenen Erinnerungen entsprungen.
    Alasar blieb stehen. In all den Jahren hatte er das Dorf kein einziges Mal betreten. An jenem Tag, an dem sie ins Reich der Höhlen gezogen waren, hatte er es mit seiner Kindheit begraben. Es war ein Friedhof der Vergangenheit.
    Hier und da ragte ein verkohlter Gegenstand aus dem Boden. Die Grundrisse der Häuser waren noch zu erkennen und Stofffetzen, die vom Wetter morsch geworden waren, umwickelten verdorrte Knochen.
    Alasar wandelte wie ein Geist durch das Dorf. Der Schatten der Jahre hing über den Ruinen und nahm Alasar in sich auf. Kein Geräusch war zu hören außer dem Knirschen des gefrorenen Bodens unter seinen Füßen.
    Langsam drehte er sich in jede Richtung. »Rahjel!«, rief er. Er fuhr sich über die Lippen. »Komm raus. Wir sind allein.« Mehrere Augenblicke verstrichen. Dann bröckelten Steine. Rahjel trat hinter den Trümmern einer Hütte hervor.
    Alasar hatte geglaubt, nichts mehr empfinden zu können, doch nun spürte er die Hitze des Hasses so stark in sich aufsteigen, dass er nach Atem rang. Mit der linken Hand holte er aus und schleuderte das Schwert in Rahjels Richtung, das er für ihn mitgenommen hatte. Es landete kaum einen Schritt vor ihm entfernt im Gras.
    Rahjel sah die Waffe an, dann Alasar. »Ich will nicht gegen dich kämpfen. Ich kann nicht.«
    Alasar ergriff sein eigenes Schwert mit beiden Händen. Seine Stimme war schrill. »Magaura hat dich nie geliebt!« Rahjel

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