Das Drachentor
Fleisch. Dann merkte er, dass Tivam etwas sagen wollte, und sah auf.
»Wenn wir da ankommen, in Isdad … Woher weißt du immer, was wir machen müssen? Wie wir angreifen?«
»Der König von Myrdhan hat keine Verbündeten mehr. Niemand wird uns erwarten. Wir greifen plötzlich an, die Reiter auf den Pferden und zwanzig Drachenreiter von Norden aus, die restlichen Drachen fliegen vom Meer her. Auf der Karte ist Isdad direkt bei einer Küste aufgemalt.« Alasar wies auf eine eingerollte, zerknitterte Karte, die er vor zwei Jahren mit Rasum getauscht hatte. »Alles andere hat mir doch der Händler erzählt. Er kannte Isdad gut. Und wusste viel über die Erwachsenen und ihren Krieg.« Tivam schob sich noch ein Fleischstück in den Mund. Sein Gesicht wirkte wieder so verschlossen wie vorher, doch Alasar entging nicht das Zittern seiner Hände.
»Hast du Angst?«
Tivams Augen starrten ihn dumpf an. »Niemals.«
Am nächsten Tag erreichten sie die Küste. Der Boden stieg an und endete vor einem steilen Abgrund, der direkt ins Meer hinabfiel, dahinter erstreckte sich der weite Ozean wie ein feindseliges, fremdes Land, das nicht für Menschen geschaffen war. Die Seeluft war beißend und der Wind riss an den Kleidern der Höhlenkinder. Im Himmel trieben sich noch immer Gewitter und ihr Knurren vermischte sich mit dem Tosen der Brandung.
Die Krieger froren in ihren durchweichten Waffenröcken und schwer gewordenen Fellen. Immer wieder wanderten ihre Blicke zum Meer hinüber, und manch einem kamen Zweifel, ob diese graue Welt es tatsächlich wert war, erobert zu werden. Bald entdeckte Alasar, der an der Spitze seines Heeres ritt, einen Wachturm auf den Klippen und schickte zwei Drachenkrieger zum Auskundschaften los.
Die Tiere schlugen mit ihren tropfnassen Flügeln, als man ihnen die Fesseln abnahm, dann galoppierten sie mit ihren Reitern los und erhoben sich mit schweren Flügelschlägen in die Luft. Alasar beobachtete, wie sie den Wachturm erreichten. Pfeile wurden abgeschossen und trafen die haradonischen Wachposten, bevor sie ihr Warnfeuer entfachen konnten. Ein letzter Wachposten kam unten auf einem Pferd aus dem Turm galoppiert, um zu flüchten, und wurde von einem Pfeil durchbohrt. Das Pferd lief weiter, bis es in den grünen Weiten des Landes verschwunden war.
Auf ihrem Weg stießen sie noch auf drei weitere Wachtürme. Dann erklomm Alasars Drache einen Felshang, und eine Stadt mit mächtigen Außenmauern wurde sichtbar, in deren Mitte eine dunkle Festung thronte. Ringsum waren Zelte aufgeschlagen und Belagerungsmaschinen standen im Regen. Hinter den Stadtmauern stiegen dünne schwarze Rauchsäulen wie Tentakel in den Himmel auf. Alasar hielt seinen Drachen an. Sie hatten Isdad erreicht.
Entlang der Küste war Nebel aus dem Meer gestiegen, schmiegte sich an das felsige Land wie ein weißer Pelz und waberte im nieselnden Regen. Hin und wieder verkrusteten die Wassertropfen zu kleinen Hagelkörnern und hüpften auf den Kriegsmaschinen, den Soldatenzelten und den Dächern der Stadt.
Schon fast vier Monate wurde Isdad von den haradonischen Legionen belagert. Weil Isdad eine wichtige Handelsstadt war, in der sich Güter vom Festland, den Inseln und der Übersee häuften, reichten die Vorräte des Königs noch für volle sechs Monate. Haradons Krieger warteten notgedrungen diese Frist ab. Mit ihren Maschinen hatten sie die äußeren Stadtkreise zerstören können, doch die Festung in der Mitte von Isdad war von außen unerreichbar. Wegen des ständigen Regens war bis jetzt auch jeder Versuch, die Stadt niederzubrennen, gescheitert. Lediglich in den ärmeren Stadtvierteln im Osten, wo sich viele Strohhütten an die Außenmauer drängten, ragten verkohlte Ruinen in den Himmel. Der König von Myrdhan und seine geschwächte Armee saßen in ihrer Festung und waren vor allen Angriffen sicher - außer dem Verhungern.
Wie Gespenster lösten sich die Drachen aus dem Küstennebel. Die Wachsoldaten in den haradonischen Belagerungstürmen liefen an den äußersten Rand ihrer Aussichtsposten und starrten zum Meer hinaus. Irrten sie sich im Regen? Nein … Aus drei Schatten wurden sechs … dann neun, dann dreizehn, dann zwanzig. Es war eine fremde Windgarde.
Die Windreiter machten sich durch keine Flagge und kein Wappen erkennbar und ignorierten die Warnfackeln. Als sie nahe genug herangekommen waren, sirrten Pfeile durch die Luft. Ein schriller Schrei zerriss die Stille und ein haradonischer Soldat fiel getroffen aus
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