Das Drachentor
schlug so heftig mit den Flügeln, wie er konnte.
Der Turm ächzte. Ein dumpfes, grollendes Knattern lief durchs Holz. Alasar merkte, wie sie sich vorwärtsbewegten. Dann gab das Gebälk nach. Mit einem langen, seufzenden Knarren splitterten die Bretter und der Turm sank zur Erde.
Eine Welle von Schreien spülte durch die Luft, doch Alasar sah nicht hinunter, wo der Turm donnernd zerbarst und Zelte und Reiter unter sich begrub. Sein Drache flog steil in die Höhe. Mit fiebrigen, verkrampften Fingern löste Alasar die Eisenkette. Ein Ruck, dann hatte auch Tivam die Kette von seinem Drachen gelöst.
Drachenschreie erklangen und jetzt blickte Alasar zurück: Einer der Drachen, der beim Sturz des Belagerungsturms geholfen hatte, war von mehreren Pfeilen getroffen. Die Eisenkette zwischen ihm und dem anderen Tier war noch nicht gelöst. Er sank mitsamt seinem Reiter in die Tiefe und zog den anderen Windreiter mit sich.
Plötzlich stieß das Mittelhorn seines Drachen Alasar ins Gesicht. Er schrie auf und sank zurück. Beide Hände um die Zügel geklammert, lenkte er den Drachen zur Außenmauer. Die Hälfte seines Gesichts pochte, Regen schlug ihm entgegen und brannte eisig auf seiner Haut.
Der Drache kam taumelnd auf der Außenmauer auf. Alasar rutschte von seinem Rücken, als der Drache kraftlos zu Boden sank, ging ein paar Schritte und stützte sich gegen die Mauer. Noch immer wütete die Schlacht unter ihnen. Das Lager der Haradonen sah verwüstet aus, aber Alasar konnte nicht abschätzen, wie erfolgreich sie gewesen waren.
In diesem Moment landete Tivam neben ihm. Wankend glitt er von seinem Drachen hinunter und strich sich erschöpft die Haare aus der Stirn. Vielleicht war es die flüchtige Handbewegung - vielleicht aber auch sein verschlossener, ernster Gesichtsausdruck, der Alasar mit plötzlicher Heftigkeit an sich selbst erinnerte: Tivam war das, was Alasar einst gewesen war.
Er kam auf ihn zu und wollte ihm so vieles sagen; er wollte sagen, er sei froh und stolz, ihn zu haben, dass sie sich mehr ähnelten, als Tivam wahrscheinlich annahm, und er vielleicht eines Tages lernen würde, ihn zu lieben wie seinen eigenen Bruder - doch er sagte bloß: »Gut gemacht.« Tivam blickte zu ihm auf und nickte benommen.
Soldaten kamen zu ihnen geeilt, angeführt vom General, dessen Blick über das Chaos vor der Stadt irrte, als verstünde er die Welt nicht mehr. Vor Alasar angekommen, hob er sein Schwert. »Zum allerletzten Mal: Wer seid ihr? Wer schickt euch?«
Alasar war durchaus bewusst, dass einige der Soldaten hinter dem General verängstigt waren, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Niemand schickt uns. Außer die Götter vielleicht.« Der General und die Soldaten starrten ihn an. Wie er so vor ihnen stand, Gesicht und Hals von Ruß verschmiert und Blut auf der Wange, wo das Mittelhorn ihn getroffen hatte, schien er nicht von Göttern, sondern aus den dunkelsten Winkeln der Hölle gesandt worden zu sein.
»Mein Name ist Alasar«, fuhr er fort, und sein Blick glitt über die umstehenden Soldaten. »Ich bin der Führer des Höhlenvolks! Und ich bin gekommen, um den König von Myrdhan zu treffen.«
Stille trat ein. Endlich senkte der General sein Schwert und zuckte mit den Schultern. »Tja. Bist wohl nicht sein einziger Besucher in diesen Tagen.«
Die Soldaten begannen unsicher zu lachen.
Alasar, Tivam und vier weitere Höhlenkinder wurden zum König geführt. Der General - sein Name war Jasicur - geleitete sie durch die Stadt. Hoch und verschlossen ragten die Häuser rings um sie auf. Ein paarmal versperrten Schutt und Trümmer ihren Weg und sie mussten andere Straßen wählen.
Als sie in Isdads Zentrum gelangten, kamen ihnen mehr Leute entgegen. Straßenkinder huschten durch die Gassen und kletterten durch aufgebrochene Fenster. Alte Bettler suchten nach Essensresten. Bauernfamilien aus den umliegenden Dörfern, die vor den Haradonen geflohen waren, saßen am Straßenrand und schliefen auf ihren Truhen und Körben. Eine Gestalt lag mitten in einer Pfütze und regte sich nicht.
Alasar hatte noch nie eine Stadt betreten und noch nie so viele verschiedene Menschen erblickt. Tivam schien geradezu überwältigt - besonders starrte er die alten Bettler mit ihren Runzeln und Falten an.
Bald öffneten sich die Gassen zu einem gepflasterten Platz. Dahinter erhob sich die Festung von Isdad wie ein mächtiger Baum, der aus dem Unterholz emporragte. Die Gruppe überquerte den Platz und schritt einen
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