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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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gebar einen lebendigen Säugling, schreiend und strampelnd und rosig von der Lebenskraft, die er seiner Mutter in den vergangenen Monaten abgerungen hatte. Man legte das Neugeborene seiner Mutter in die Arme, und da wussten die alten Frauen, dass die beiden überleben würden.
    Die Verstorbenen wurden an einem schneelosen Morgen beigesetzt. Die Erde war festgefroren und kaum auszuheben. Alasar stieß seine Schaufel so tief ins Erdreich, wie seine Kräfte es ihm erlaubten, und bettete die Leichen in die Gruben. Seine Gefährten waren gerade dabei, die Erde wieder aufzuschütten, als der Boden von herangaloppierenden Drachen erbebte.
    »Zurück!«, zischte Alasar, packte hastig all ihre Sachen zusammen und huschte mit seinen Kameraden in eine Nische im Gestein. Kaum einen Augenblick später sahen sie haradonische Krieger, die über die Hügelkämme preschten.
    Es war eine Reitereinheit von mehr als zwanzig Männern. Alasar hörte aus der Ferne ihre Rufe und die Befehle, mit denen sie ihre Drachen zu gewaltigen Sprüngen antrieben, die das schnellste Pferd nicht vermocht hätte. Der Dampf stieg den Drachen in Wolken aus den Nüstern. Ihre langen Schwänze schwangen auf und ab, während sie durch den Schnee galoppierten, die schlanken, horngeschmückten Köpfe nach vorne gestreckt. Ihre gefalteten Flügel waren ihnen an den Körper gebunden, sodass die Männer bequem auf ihnen reiten konnten. Trotz seiner Angst fühlte Alasar sich von der Schönheit der Tiere überwältigt. Wie anmutig sie dahinzuschweben schienen! Umhüllt von den Schneewolken, die ihre Krallen aufstoben, kamen sie Alasar vor wie Zauberwesen, nicht wie gewöhnliche Tiere … Es dauerte nur ein paar Sekunden, ehe die Drachenkrieger hinter den weißen Hügeln verschwunden waren, doch ihr Anblick setzte sich in Alasar fest wie ein eingebranntes Bild.
    Er und seine Gefährten kehrten in die Höhlen zurück, sobald die Toten begraben waren. Doch von da an verließen sie ihr Versteck noch seltener.
    Die Haradonen, die er am Morgen gesehen hatte, beängstigten Alasar. Ihm wurde bewusst, dass sich die Feinde direkt über ihren Köpfen befanden und sie hier unten alles andere als in Sicherheit waren; vielmehr saßen sie in der Falle wie Kaninchen, die ihren Bau unter einem Wolfsrudel errichtet hatten.
    Abermals stieg er nach dem Abendessen zum höchsten Felsvorsprung auf und verkündete, dass sie Wachposten brauchten. Tag und Nacht mussten alle Ausgänge, die Schlafhallen und die Felsen an der Oberfläche bewacht werden. Sie brauchten Krieger. Alasar erzählte den Kindern, was geschehen würde, wenn sie nicht auf ihn hörten; dass die Haradonen in den Nächten kommen würden, wenn alle schliefen, um sie zu töten und zu verschleppen. Angesichts dessen, was die Jungen und Mädchen in ihren Dörfern bereits erlebt hatten, glaubten sie Alasar sofort und befolgten seine Anweisungen.
     
    Der Winter regierte in diesem Jahr mit aller Strenge. Tag und Nacht brannten die Feuer in den Höhlen, bis der Qualm die Augen der Kinder rot werden ließ und ihre Lungen verengte. Husten und Fieber gingen um. Viele der Alten raffte die Kälte dahin; ihre Körper hatten jede Widerstandskraft verloren. Die Frau, die diesen Winter ihr Kind zur Welt gebracht hatte, übernahm mit den wenigen Greisen die Aufgaben, die die anderen Erwachsenen zuvor erfüllt hatten: Sie versuchte, all die verwaisten Kinder zu versorgen, kochte Suppe in schweren, großen Kesseln und unterwies die ältesten Kinder in der Krankenpflege. Sie war eine kleine, dunkelhaarige Frau und hieß Igola. Nur einen ihrer sechs Söhne und Töchter hatte sie nicht im Krieg verloren, und zwar Rahjel. Er übernahm für die meiste Zeit die Aufsicht seines kleinen Geschwisterchens, eines winzigen Jungen mit schwarzem Haarflaum, den seine Mutter Tivam nannte. Die Brüder waren die einzigen von all den Kindern, die noch eine Mutter hatten.
    Alasar und Magaura spielten oft mit Rahjel und Tivam. Obwohl sich die beiden älteren Jungen wünschten, dass ihre Geschwister sich wie sie befreunden würden, schien Magaura mehr Interesse an ihnen als an dem schreienden Bündel Leben zu haben, das Rahjel so liebevoll umsorgte. Die vier verbrachten viele Stunden in den abgeschiedenen Grotten, rutschten über die flachen, zugefrorenen Seen, sammelten kleine Krebse und spielten Verstecken und Familie. Nur in diesen Spielen wagte Alasar zu lachen und der sorgenvolle Ernst wich aus seinem Gesicht. Es waren glückliche Augenblicke für ihn, in

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