Das Drachentor
es egal. Bring sie alle um, wenn das dein großes Lebensziel ist.« Ardhes griff nach ihrem Messer und aß. Viel zu schnell schluckte sie hinunter.
Alasar beobachtete sie aufmerksam. Dann aß auch er.
Wenn er starb, was würde als Nächstes geschehen? Ardhes überlegte fieberhaft, was sie danach tun sollte. Sie würde allein herrschende Königin sein. Natürlich würde Jale versuchen, sie zu lenken und in eine Marionette zu verwandeln. Im Grunde würde sich nicht viel ändern …
Ardhes musste beinahe wieder lächeln. Der einzige Grund, weshalb sie Alasar geheiratet hatte, war der gewesen, Jales Pläne zu zerstören. Sie hatte rebellieren wollen, nicht für ihre Freiheit - an Freiheit wagte sie nicht zu denken -, sondern aus Trotz. Sie war bereit gewesen, ihr Leben an der Seite eines Fremden zu verbringen, nur um aus Jales Machtkreis auszubrechen. Dabei hätte sie wissen müssen, dass es nicht so einfach sein würde. Nun war Ardhes all das geworden, was Jale für sie bestimmt hatte: eine Lügnerin, eine Intrigantin. Eine Mörderin. Indem sie dagegen anzukämpfen versucht hatte, war sie das Ebenbild ihrer Mutter geworden.
Ardhes blickte auf und beobachtete Alasar beim Essen. Anfangs war er ein Werkzeug ihrer Auflehnung gewesen, doch nun, da er Jale zu gefährlich geworden war, sollte er beseitigt werden. Wieso führte Ardhes die Pläne ihrer Mutter aus? Konnte sie Alasar stattdessen nicht selbst benutzen, irgendwie - oder ihn zumindest nicht daran hindern, Unheil anzurichten?
Ihre Gedanken flirrten. Sie musste schnell entscheiden. Entweder sie ließ Jales Willen zu - und kehrte in ihr gewohntes Leben zurück, still und ergeben, um zu werden, was ihre Mutter aus ihr formte. Oder sie stellte sich gegen ihre Familie und gegen jede Vernunft und alles, was ihr ängstliches Herz befahl. Sie musste wählen, ob sie sich Jale unterwarf, um ein sinnloses Dasein zu fristen - oder ob sie ihrem Hass folgen wollte, in welche Hölle auch immer er sie führen mochte. Wenn sie sich jetzt von Trägheit verführen ließ, würde Jale gewinnen …
Als Alasar nach dem Wein griff, hämmerte Ardhes’ Herz schmerzhaft schnell. Er hob seinen Kelch.
Ardhes stand auf. Alasar sah sie fragend an. Sie öffnete den Mund, versuchte, ihm fest in die Augen zu blicken und den Weinkelch in seiner Hand zu ignorieren. »Du kannst mir vertrauen.« Ihre Stimme klang brüchig. »Du kannst mir trauen, weil mir nichts wichtig ist.«
Er nickte langsam. Als er den Kelch an die Lippen setzen wollte, schritt Ardhes auf ihn zu. Sie berührte den Kelch. Ein Tropfen Wein schwappte über den Rand, als sie ihn aus seiner Hand nahm und zurückstellte.
Sie sahen sich stillschweigend an. Ardhes bezweifelte nicht, dass Alasar begriff, was sie eben getan hatte. In seinen dunklen Augen lag Schreck, aber vor allem Verwirrung. Dass man ihn ermorden wollte, überraschte ihn wahrscheinlich nicht - nur dass Ardhes es verhindert hatte, konnte er nicht verstehen. Sie verstand es selbst kaum.
»Warum?«, fragte er heiser.
Ardhes zuckte mit den Schultern. »Muss es einen Grund geben? Wieso willst du denn den Krieg?«
Sie sah, dass er etwas antworten wollte, doch er blieb stumm. Vielleicht hatte auch er keinen Grund. Die Vorstellung war bizarr. Hinter seinem eisernen Willen, hinter seinen unglaublichen Plänen und seiner ganzen Rücksichtslosigkeit steckte wahrscheinlich gar nichts. Er wusste nur, was er tat - aber nicht warum. Doch wer von allen ehrgeizigen Männern der Welt wusste das schon? Menschen verbrachten ihre Zeit mit der Umsetzung großer Ziele und glorreicher Taten, um die nackte Wahrheit in glänzende Kleider zu hüllen - aber ändern konnten sie trotzdem nicht, dass das Leben nichtig war, egal wie schön sie die Verhüllung webten.
Ardhes fragte sich, ob sie die Einzige war, die das wusste. Wenn ja, waren alle anderen Menschen dumm. Und wenn nein, war die Welt bevölkert von Heuchlern. Alasar gehört zu den Heuchlern, die die Dummen belügen, dachte sie. Aber die Wahrheit - dass all sein Streben im Kern sinnlos war - gefiel selbst ihm nicht.
»Ich werde meiner Mutter sagen, dass der Krieg gegen Haradon beginnt«, murmelte Ardhes endlich. Noch immer sah sie Alasar in die Augen.
»Was wird sie tun?« Über ihre Blicke fand ein Gespräch statt, das schneller war als das ihrer Lippen.
»Sie hält zu Haradon.«
»Und was tust du?«
»Ich sehe zu.« Sie schluckte. »Und du?«
»Ich sehe dich.« Die Worte schienen ihm herausgerutscht zu sein; er blinzelte und
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