Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
Stimmen kamen ihm entgegen. Revyn erreichte die Rückseite eines Zeltes und duckte sich dicht an die dunkle Plane, als eine Wache mit einer Fackel vorbeischritt. Der Mann hielt in die Ferne Ausschau und entdeckte ihn nicht.
    Revyn schlich am Zelt entlang bis zum Eingang. Kein Licht brannte darin. Er schlüpfte hinein, öffnete eine Tasche und holte einen dunklen Soldatenumhang heraus. Rasch legte er sich den Umhang um die Schultern, dann trat er wieder nach draußen, zog einen Speer mit dem haradonischen Wappen aus der Erde und ging zu einem der Lagerfeuer.
    Mehrere Männer saßen im Licht und redeten miteinander. Über den Flammen hing ein schwerer Eisenkessel, aus dem immer wieder vorbeigehende Soldaten schöpften.
    Revyn schlug sich den Kragen des Umhangs hoch und steckte das Kinn unter den Stoff, wie um sich vor der Kälte zu schützen. Als er an den Kessel trat, eine große Holzschale vom Boden nahm und sich heiße Brühe einschenkte, beachteten ihn die herumsitzenden Männer kaum. Nur einer knurrte, er solle gefälligst seinen Speer nicht ins Feuer halten.
    Revyn verließ das Lagerfeuer unauffällig und nahm sich auf dem Weg zwei Brotlaibe mit. Er gab acht, dass gerade keine Wache zugegen war, dann huschte er aus dem Lager und erklomm, von wildem Triumph erfüllt, den Hügel.
    »Revyn!«, flüsterte eine Stimme aus der Dunkelheit. »Was hast du getan?«
    »Essen besorgt. Hier.« Er ging in die Knie und reichte Yelanah die Schale. »Trink, solange sie noch warm ist.«
    Yelanah war sprachlos. Dann fiel sie ihm so plötzlich um den Hals, dass er fast die Brühe verschüttet hätte. »O Revyn! Ich wusste ja nicht, dass du so verrückt bist.« Sie nahm sein Gesicht in die Hände und küsste seine Wangen und seinen Mund.
    »Ich war doch mal Soldat.« Ihm wurde bewusst, dass er das erste Mal seit langer Zeit lächeln musste. Er zog die Nase hoch und atmete erleichtert aus.
     
    Sie folgten den Soldaten fünf Tage durch Myrdhan. Bald tauchten am nördlichen Horizont Berggipfel auf, zart und hell: Awrahell war in unmittelbarer Nähe. Nicht mehr lange und sie würden auch die Grenze nach Haradon erreichen.
    Jede Nacht schlich Revyn zu den Zelten und holte nicht nur Essen, sondern auch warme Umhänge und ein Schwert. Die Soldaten bemerkten am nächsten Morgen, dass das Schwert verschwunden war, und durchsuchten vor ihrem Aufbruch das gesamte Lager. Sicherheitshalber folgten Revyn und Yelanah ihnen nun in größerem Abstand.
    Als der Morgen verstrich, wurde der Schneefall stärker. Die eisigen Winde, die in den Tagen zuvor über das Land gefegt hatten, legten sich endlich. Still und friedlich rieselten die Flocken, bis alles in ihnen versank wie in dichter Watte. Der Himmel verbarg die Sonne hinter Wolkentürmen, als schließe er sein Auge. Die Erde schlummerte unter ihren Decken. Die Menschen waren in dieser einsamen Welt sich selbst überlassen.
    Revyn und Yelanah wanderten schweigend durch die weiße Landschaft, nur auf ihre Schritte konzentriert. Schnee knirschte unter ihren Schuhen. Die haradonische Truppe war hinter den Hügeln verschwunden. Nach einer Weile erreichten sie die Hügel und gingen zwischen ihnen hindurch.
    Als Revyn den Kopf hob, blieb er stehen. Yelanah hatte es auch gesehen. Mit angehaltenem Atem standen sie da. Vor ihnen lag ein Heer. So viele Menschen flimmerten in der Masse, dass man sie gar nicht mit einem Blick einfangen konnte. Keine Banner verrieten ihre Herkunft.
    »Windreiter!«, stieß Revyn aus und zog Yelanah hinter den Hügel zurück. Am Himmel zogen Drachen ihre Kreise. Es waren Späher.
    Nicht weit entfernt sahen Revyn und Yelanah die haradonische Truppe. Die Windreiter hatten sie bereits angesteuert und schossen nun auf sie nieder.
    Die haradonischen Soldaten waren zu einem engen Kreis zusammengerückt. Pfeile flogen durch die Luft. Einige Reiter auf Pferden galoppierten gen Süden, doch die Windreiter folgten ihnen in der Luft. Bald hatten ihre Pfeile auch den letzten Haradonen aus dem Sattel gerissen.
    Der Kampf dauerte nur kurz. Bei der myrdhanischen Übermacht hatte kein einziger Haradone überlebt. Nach einer Weile landeten die Windreiter und durchsuchten den Proviant der toten Männer. Sie banden die erbeuteten Pferde aneinander und führten sie zum Heer.
    Revyn spürte erst, wie fest er Yelanahs Arm gedrückt hatte, als sie einen Schritt zurücktrat. Sie hob ihren Speer. Alle Sanftheit und Hilflosigkeit waren aus ihrem Gesicht gewichen; es wirkte hart und kalt wie der Winter

Weitere Kostenlose Bücher