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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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selbst. »Hier wird ihre Schlacht stattfinden. Sie warten auf ihre Feinde.« Sie biss die Zähne zusammen. Ihre Speerspitze zeigte geradeaus. »Ich werde mich ins Heer schleichen. Und du suchst auf der anderen Seite nach dem Heer der Haradonen. Wir befreien die Dar’hana, treffen uns in der Luft und fliegen immer gen Norden, bis wir die Wälder erreichen.« Sie hielt den Atem an. Ihre Stimme bebte. »Wir schaffen das!«
    Revyn umarmte sie fest. Sie umklammerte noch immer ihren Speer. »Wir schaffen das, Revyn … versprich es mir!«
    »Pass auf dich auf.« Ihr Körper kam ihm zarter und verletzlicher vor denn je. Er drückte ihren ledernen Harnisch und betete inständig, dass er sie schützen mochte. »Halte dich versteckt, bis alle Dar’ hana losgebunden sind. Dann werden sie die Menschen mit dir zusammen angreifen.«
    Yelanah nickte. Ihre Augen schimmerten feucht, doch ihre Miene war nie entschlossener gewesen. »Und du tust dasselbe.«
    Revyn nickte ebenfalls. Er wusste weder, wie er die Drachen des haradonischen Heeres unbemerkt befreien sollte, noch, wie er das haradonische Heer überhaupt erreichen würde, ohne vorher von den Myrdhanern entdeckt zu werden. Aber das Einzige, woran er denken konnte, war die unendliche Masse von bewaffneten Menschen, in die Yelanah eintauchen würde.
    Sie sahen sich in die Augen und begriffen, dass sie sich vielleicht das letzte Mal gegenüberstanden.
    Yelanahs Unterlippe zitterte. Noch einmal umarmte sie Revyn fest. Das Gesicht an seinen Nacken gepresst, wagte sie, leise zu wimmern. Doch als sie sich wieder von ihm löste, gab ihr Gesicht nichts mehr von ihrer Angst preis.
    »In wenigen Stunden werden wir uns wiedersehen.« Sie nickte, wie um ihre eigenen Worte zu bekräftigen. »Wir schaffen es. Nun geh. Geh …«
    Sie trat mehrere Schritte zurück. Er konnte sich nicht bewegen und den Blick nicht von ihr wenden. Tausend Worte wollte er noch sagen, doch sie hatte recht; das hier war kein Abschied. Sie würden sich wiedersehen, heute Abend. Ganz sicher … Wenn sie sich jetzt die Dinge sagten, die sie sich vor dem Tod noch sagen mussten, dann straften sie ihre Zuversicht Lügen. Revyn schluckte. Nein, er konnte nichts sagen, aber nichts hielt ihn davon ab, noch einmal auf sie zuzulaufen! Er legte die Hand auf ihren Nacken und küsste sie wenigstens, als sei es das letzte Mal. Yelanah schloss fest die Augen, um ihre Tränen zurückzudrängen.
    »Ich liebe dich«, flüsterte er. Dann zog er sein Schwert.
    Er begann zu laufen. Der Schnee machte seine Schritte schwer. Rieselnde Flocken trieben ihm ins Gesicht und schmolzen auf seinen Wangen zu dünnen Tränen. Hinter Vorhängen aus Schnee und Angst flüsterte ihre Stimme: Und ich … liebe … dich.

Die Stunde der Wahrheit
    Als Ardhes das fremde Heer erblickt hatte, das am weißen Horizont auf sie wartete, waren ihr die Knie weich geworden.
    Natürlich hatte sie gewusst, dass Haradon das mächtigste Reich der Welt war - sie hatte damals in Logond mit eigenen Augen gesehen, wie viele Krieger es gab. Und Logond war nur eine Stadt von vielen. Trotzdem hielt sie unwillkürlich den Atem an, als ihr Blick die endlosen Reihen von Kriegern, Zelten und flatternden Bannern streifte, die das Land in der Ferne säumten. Sie fragte sich, was die Krieger rings um sie wohl empfanden, die gegen die Streitmacht vor ihnen antreten mussten. Hätte sie Alasar an jenem Abend vergiftet, würde so mancher Krieger heute am Leben bleiben. Aber es war zu spät für solche Gedanken. Und musste sie denn ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihren Ehemann nicht ermordet hatte?
    Alasars Heer machte halt. Zelte wurden aufgeschlagen und Essen verteilt. Wer noch nicht ausreichend gerüstet war, machte sich nun für den Kampf bereit. Ardhes strich durch das Lager, gefolgt von der ängstlichen Candula und ihren Zofen. Mit ausdruckslosen Mienen rannten Männer hierhin und dorthin, führten Drachen und Pferde hinter sich her und prüften ihre Waffen.
    Ardhes zog sich den dicken Umhang enger um die Schultern, als der Wind Schneeflocken aufwirbelte. Vor ihr lag Alasars Zelt. Soeben traten mehrere verbissen dreinblickende Krieger heraus, die alle nicht älter waren als Ardhes. Sie wartete, bis die jungen Myrdhaner gegangen waren. Dann schritt sie auf das Zelt zu und blieb vor dem Eingang stehen.
    Sie sah Alasar, der zwischen einer Feuerschale und einer Holzwanne stand und sich mit einem Tuch abtrocknete. Trotz der bitteren Kälte hatte er sich offenbar gewaschen. Er

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