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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Hüfte. Die Schwanzspitze.
    Ungeschickt fand er den Drachenschwanz in der Dunkelheit, hielt sich daran fest und stieg schließlich mit einem Fuß darauf. Der Drache ertrug seine Tollpatschigkeit geduldig. Kaum dass er Revyns Gewicht zu spüren schien, hob er den Schwanz und half Revyn so mühelos auf seinen Rücken, dass er beinahe von selbst darauf landete.
    Mit weichen Knien und zitternden Händen klammerte er sich fest, vorsichtig, damit er die Flügel nicht verletzte. Er strich durch das weiche, kurze Fell - wie schön es sich anfühlte! - und fand das lange Mittelhorn am Hinterkopf des Drachen, an dem man sich beim Reiten festhielt. So hatte Revyn es zumindest bei Barims Lehrlingen beobachtet. Er selbst hatte noch nie auf einem Drachen gesessen, geschweige denn einen geritten. Jetzt können wir wohl fliehen, du und ich.
    Der Drache spannte die Muskeln, Revyn spürte es unter sich wie hundert Bogensehnen, die zurückgezogen wurden. Dann machte der Drache einen Sprung hinaus in die Nacht.
    Es war wahrscheinlich kein hoher oder weiter Sprung, doch Revyn schien es, als sinke die Erde unter ihnen fort, während sie in den Himmel emporrasten. Er zog scharf die Luft ein.
    Der Drache landete weich und federnd im Gras und Revyn sank mit einem verblüfften Keuchen gegen seinen Hals. Schon machte er den nächsten Sprung. Mit feuchten Fingern klammerte er sich um das Mittelhorn und umschlang mit dem anderen Arm den Drachenhals. Er presste die Wange ins Fell und schloss die Augen.
    Immer wieder spürte er den Druck, wenn der Drache aufkam und ihr gemeinsames Gewicht gegen den Erdboden drängte, gleich gefolgt von der flimmernden Schwerelosigkeit, wenn sie durch die Finsternis schwebten …
    Es war ein sanfter, gleichmäßiger Rhythmus und bald fühlte er sich vollkommen eins mit ihm.
    Revyns Herz schlug im gleichen Takt wie das des Drachen. Er schmiegte sich an das mächtige Tier, als könne er in ihm versinken, bis sie eins waren und er selbst nicht mehr existierte. Danke, dass du bei mir bist, flüsterte er in Gedanken. Und ihm war, als kehrten die Worte von diesem fremden und doch vertrauten Geschöpf zu ihm zurück.

Flucht
    Das Morgenlicht wurde vom dichten Blätterdach verschluckt. Nur hier und da fielen feine Sonnenfäden durch das Grün. Irgendwo hoch oben in den Baumkronen hallte das Hämmern eines Spechts wider.
    Revyn öffnete die Augen, ohne den Kopf zu heben. Er blieb weiter an den Drachenhals geschmiegt, während sie durch den stillen Wald ritten.
    Es musste das erste Mal sein, dass der Drache wieder in der Natur war, seit Barim ihn gefangen hatte. Eigentlich hätte er Revyn längst abwerfen und seine Freiheit zurückerlangen können. Wieso tat er es nicht? Noch dazu war er kein gezähmter Drache, und der Angriff auf den Lehrling hatte doch bewiesen, was er von Menschen hielt …
    »Tut mir leid, dass du gefangen warst«, flüsterte Revyn. Dann wusste er nicht, was er noch sagen sollte, und sah sich um. Der Wald kam ihm ungewohnt groß und wild vor. Früher war er öfter Holzhacken gegangen, doch die Umgebung war jetzt völlig anders. Statt kahler Tannen und Fichten umgaben ihn mächtige Buchen und gewundene Eichen. Weiße, süß duftende Wildblumen übersäten den Boden. Rankengeflecht und Moospelze überwucherten die Wurzeln. Blickte man in den Himmel auf, sah man verschlungenes Astwerk.
    Durch all dieses wilde Leben wanderte Revyn mit dem Drachen. Ihm war, als seien die Bäume schlafende Riesen … Der Wind, der durch das Blätterdach flüsterte, war ihr leises Atmen. Wenn man genau hinhörte, war alles erfüllt von den leisesten Geräuschen: Tautropfen landeten mit einem Plitsch in einer Pfütze, im Dickicht raschelte ein Dachs.
    Irgendwann, es musste schon Vormittag sein, fiel Revyn auf, dass sie keinem Weg folgten. Der Drache hatte ihn einfach in die Wildnis geführt! Wo war die Straße, die Straße, auf der er die Soldaten einholen musste?
    »O Mist! Drache … zurück! Wir müssen …« Verzweifelt schaute Revyn sich in alle Richtungen um. Aber überall umschloss ihn tiefer Wald. Der Drache war stehen geblieben, als er so nervös auf ihm herumrutschte. Mit erhobenem Kopf und gespitzten Ohren schien er etwas zu beobachten.
    »Was ist? Hörst du mich? Verstehst du mich …« Revyn war so auf den Drachen konzentriert, dass er gar nicht merkte, wie er kam … und plötzlich war er da: der Nebel, so dicht, dass man kaum mehr den Boden sehen konnte. »Wie kann das …«
    Der Drache setzte sich wieder in

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