Das Drachentor
sofort gewusst, dass sie minderjährige Drachenkrieger waren und sich heimlich in die Unterstadt schleichen wollten. Aber die Wachposten auf der Treppe waren entweder blind, oder es war ihnen ganz einfach egal, dass die jungen Krieger sich Nacht für Nacht rausschlichen und erst wiederkehrten, wenn die morgendlichen Hornrufe sie zur Arbeit riefen.
Als sie außer Reichweite der Wachfackeln waren, sprangen Capras, Twit und Jurak einen Augenblick umeinander und pufften sich in die Seite; dann zog Capras Revyn am Ärmel voran, und sie rannten weiter durch die Dunkelheit, vorbei an den Baracken der gewöhnlichen Fußsoldaten.
Die zweite Treppe lag mit einem Mal hinter ihnen und im nächsten Augenblick standen sie vor einem Haus in einer schmalen Seitengasse. Durch die Ritzen der schiefen Holztür sickerte Licht.
Capras drehte sich mit fachmännischer Miene zu Twit um. »Twit, willst du übernehmen?«
Twit nickte und trat vor Revyn. »Alles klar, jetzt guck mal.« Er öffnete die Schnüre seines Harnischs und entblößte im Schein des bleichen Lichts seinen Oberarm. Revyn machte ein überraschtes Gesicht, als er die Tätowierung erkannte. Es war ein galoppierender Drache mit gespreizten Flügeln. Darunter stand eine winzige Inschrift.
»Was steht da?«, fragte Revyn.
»Da steht: Der Sieg gebührt den Besten «, erklärte Twit. In seiner Stimme lag Stolz. »Ich kann nicht lesen, aber ich weiß, dass es da steht.«
Inzwischen hielten auch die anderen beiden Revyn ihre Arme hin. »Ihr habt alle dasselbe -« Er verstummte. Capras hatte nicht wie Twit und Jurak den galoppierenden Drachen auf dem Arm. Stattdessen schmückte ihn das Bildnis einer üppigen Dame.
»Oh - oh.« Revyn schmunzelte und legte den Kopf schief, um das Bild besser zu erkennen. »Also … dann findest du Frauen … schöner als Drachen?« Capras lachte.
» Angeblich war er betrunken, als er es sich stechen ließ, stimmt’s, Cap?« Jurak grinste. »Aber wir wissen ja, was du am wichtigsten findest.«
»Moment mal, ich bin genauso dabei wie ihr, verstanden?«, verteidigte sich Capras mit gespielter Entrüstung. »Hier, darunter steht dasselbe. Revyn, schau: Der Sieg gebührt den Besten , siehst du’s? Den Spruch kann man eben in allen Lebenslagen anwenden …«
Twit und Jurak lachten. Unter Capras’ halbherzigen Versuchen, seine Vaterlandsliebe zu beteuern, und dem Gespött seiner Freunde merkte Revyn gar nicht, wie die Jungen ihn durch die Tür ins Haus drängten. Erst als alle verstummten, wurde Revyn bewusst, dass in der Stube vor ihnen ein Mann stand.
»Kann ich euch helfen?«, fragte er gelangweilt. Sein erstaunlich langer und spitzer Ziegenbart wies wie der Stachel eines Skorpions auf sie. Dunkelblaue Tätowierungen bedeckten seine Arme.
»Also, wir wollen unserem Freund hier eine Tätowierung stechen lassen«, sagte Capras. Revyn dämmerte, dass er dieser Freund war. Langsam wandte er sich Capras zu. »Keine Sorge.« Capras klopfte ihm auf die Schulter und schob ihn auf den Ziegenbart zu. »Für Drachenkrieger ist hier alles umsonst. Nicht wahr, Alter?«
Der Ziegenbart blähte die Nasenflügel. »Ja, natürlich.« Sein Blick blieb feindselig auf Capras geheftet, während er aus einer dunklen Zimmerecke zwei Stühle heranzog. Aus der Schublade eines Schränkchens holte er ein schmuddeliges Stoffbündel und wickelte es auf, sobald er auf einem der Stühle Platz genommen hatte. Capras, Twit und Jurak drückten Revyn auf den zweiten.
»Wer das durchsteht«, sagte Capras und wies mit einem Kopfnicken auf die lange Nadel, »der ist echt ein Drachenkrieger.«
»Und wer das nicht durchsteht?« Revyns Stimme kam ihm selbst schrecklich piepsig vor.
»Der ist ein Feigling«, erklärte Capras schlicht.
»Was, willst du vielleicht kneifen?« Twit funkelte ihn hinter Capras’ Rücken an.
»Was denkst du denn? Ich hab keine Angst«, sagte Revyn und mit sehr viel mehr Begeisterung, als er eigentlich empfand, zog er den Ärmel seines Hemdes hoch. Herausfordernd hielt er dem Ziegenbärtigen den Arm entgegen.
»Was soll es denn werden?«, fragte der Mann unbeeindruckt. »Eine kleine Sternschnuppe vielleicht?«
Revyn wich ein Stück vor der erhobenen Nadel zurück, als ihn Twit von hinten wieder nach vorne drückte. »Er kriegt genau das hier.« Er hielt dem Ziegenbart seine eigene Tätowierung vor die Nase. »Und vergiss nicht die Inschrift. Der Sieg gebührt den Besten! «
Der Ziegenbart verkniff sich jedes weitere Wort und machte sich an die
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