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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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ersten Lichter in der Stadt anzündeten, um böse Nachtgeister fernzuhalten.
    Der hektische Tageslärm verwandelte sich in ein fröhliches Stimmengewirr, als die Drachenkrieger sich nach Hause aufmachten. Hier und da bekam Revyn Unterhaltungsfetzen mit. Man erzählte sich von den Tageserlebnissen, freute sich auf das Abendessen oder tauschte Witze aus. Die meisten Krieger waren etwas älter als Revyn, aber sie gebärdeten sich wie unbekümmerte Jungen. Jungen, die Drachen, Waffen, ja, einen ganzen Stadtteil für sich hatten.
    Revyn folgte den Kriegern durch das Rathaustor bis in den Speisesaal. Feuerschalen tauchten die Halle in mattwarmes Licht. Die Schlange vor den dampfenden Kesseln schien noch länger als am Morgen und der Duft von Gebratenem erfüllte den Saal.
    Endlich war auch Revyn an der Reihe und bekam einen großen Teller mit ofenwarmem Brot, Braten, gekochten Karotten und zum Nachtisch sogar eine halbe Birne. Ganz sicher hatte Revyn noch nie so gut zu Abend gegessen.
    Als er kurz den Blick durch die Menge schweifen ließ, entdeckte er den Jungen vom Frühstück wieder, Capras.
    Revyn setzte sich. »Hallo!«
    »Ah - zurück vom Mistschippen!« Um sie herum herrschte ohrenbetäubender Lärm. Weiter abseits sang eine Gruppe von Kriegern sogar ein kleines Ständchen:
    Hast du noch, Hola-Holo-Hoho,
dein Kinderschwert aus Holz?
Ein Knabe warst du, Ha-Hola-Hoho,
nun seh ich, Liebster, voller Stolz,
wahr ist dein Traum, Haho-Halo-Hoho,
vom großen, starken Krieger,
du bist in aller Welt, Hola-Holo-Hoho,
der viel geliebte Sieger!
    »Wird dieses Lied nicht von einer Frau gesungen?«, fragte Revyn laut. Aber obwohl er sich näher zu Capras vorgebeugt hatte, hörte er seine Antwort nicht. Zufällig brach das laute Singen in diesem Moment ab, sodass Revyn rasch seine eigentliche Frage stellen konnte: »Sind die betrunken?«
    »Es ist verboten zu trinken«, erklärte Capras, »… vor den Kommandanten und Hauptmännern.« Er lehnte sich grinsend zurück und deutete auf zwei Jungen, die ihnen gegenübersaßen. »Revyn - das hier ist Jurak, und das ist Twit, die du heute Morgen verpasst hast.«
    Der Erste, den Capras Jurak genannt hatte, hob schüchtern die Hand zum Gruß. Er konnte nicht jünger als Revyn sein, war wahrscheinlich sogar ein bisschen älter, aber irgendetwas in seinem Gesicht ließ ihn kindlich erscheinen. Es musste daran liegen, dass er die Augenbrauen in einem unsicheren Runzeln verzog. Ganz anders war der zweite Junge, Twit. Er nickte Revyn mit einem neugierigen, aber nicht unfreundlichen Blick zu. Hellblonde Haare umflammten sein Gesicht und die blassen Augen. Etwas Unberechenbares hatte sich irgendwo bei den Mundwinkeln festgesetzt, die hin und wieder verkniffen zuckten.
    Die drei Jungen tauschten Blicke. Dann legte Capras Revyn eine Hand auf die Schulter. Die Männer hatten ihr Lied wiederaufgenommen, ihr Grölen erfüllte die ganze Halle, und Capras musste sich dicht an Revyns Ohr beugen, um verstanden zu werden: »Willst du wissen, was es wirklich heißt, Drachenkrieger zu sein? Nach dem Abendessen …?«
    Revyn sah ihm in die Augen. Womöglich lag es nur am Feuer, das sich darin spiegelte, doch Revyn schien es, als tanzten hinter diesen Augen alle Geheimnisse Logonds. Und alles Verbotene. »Klar.«
     
    Die kalte Luft erfrischte sie wie ein Schwall Wasser, als sie hinaus ins Freie traten. Der Lärm verstummte hinter den schweren Doppeltüren und plötzlich herrschte angenehme Stille. Nur noch das Knistern der Fackeln, die rings um das Rathaus leuchteten, und das gelegentliche Rasseln der Ketten erklangen, wenn einer der Drachen sich irgendwo hoch über ihnen regte.
    »Kommt, hier lang!«, raunte Capras. Revyn, Twit und Jurak folgten ihm durch die Schatten des Gebäudes. Revyns Herz schlug schnell. Wohin liefen sie? Er beschloss, alles auf sich zukommen zu lassen. Als sie bei der weiten Treppe ankamen, blieben sie stehen. Capras berührte seine Schulter und sagte: »Den ganzen Tag lang Drachenmist schaufeln - jetzt wirst du sehen, wieso sich das alles lohnt.«
    »Verrat ihm nicht zu viel, Cap«, riet Twit mit einem schiefen Grinsen. »Er soll selbst sehen, wie es in Logond läuft.«
    Jurak gluckste leise, während sein Blick unruhig zwischen Capras und Twit hin- und herschwirrte. Sie gingen die Stufen hinab. Jeder Narr hätte erkannt, dass sie etwas im Schilde führten. Allein wie sie die Köpfe duckten, wie sie tuschelten und sich anrempelten und ermahnten, die Klappe zu halten - jeder hätte

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