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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Als er, was auf dem Pergament stand, vorgelesen hatte, wollte er Korbinian die Pergamentrolle übergeben, schaffte es nicht, die Rolle rollte übers Podium in den Saal. Korbinian scheuchte den, der sie holen wollte, weg, ging ans Rednerpult, um zu danken, und begann so: Das edle Pergament habe seinen Weg, der Schwerkraft folgend, gefunden und soll, wo es liegt, bleiben, nämlich zu Füßen der gnädigen Frau Rektorin. Es gebe noch Zeichen und Wunder. Das aber sei kein Wunder, aber ein Zeichen. Die Leute klatschten. Die Frau des Rektors, halb so alt wie der Rektor und doppelt so lebendig, hob die Rolle auf, nahm sie in den Arm und wiegte sie wie ein Kind, das sie Korbinian überreichte, der dann bekanntgab, von seinen Ehrendoktoraten sei ihm noch keines so zu Herzen gehend zuteil geworden wie eben dieses. Das ist Korbinian.
    Manchmal spüre ich eine Art Angst, weil es uns so gut geht.
    Ich habe übrigens nichts dagegen, dass sich unser, sagen wir, Briefwechsel zu einem Geständnis-Wettbewerb entwickelt. Bei den Griechen hieß Wahrheit zuerst noch Unverborgenheit. Übrigens eine Tochter des Zeus, die Aletheia. Also, ich ziehe gleich: Das Paar in Zehlendorf ist nach dem Bellevue, nach dem Aufsagen des geernteten Lobs und nach dem vulkanhaften Ausbruch des vermeintlich Misslungenen, beim Einander-in-die-Arme-Sinken doch noch geschlechtlich geworden. Das hat uns nach diesem menschenreichen Abend erleben lassen, wie viel näher wir einander sind als allen anderen.
    Dass Sie und ich die Unverborgenheit als unsere Fahne hissen, gefällt mir besser als das Geständnis-Zählen. Wir haben sogar schon eine Geschichte. Basil Schlupp. Als ich diesen Namen und Ihre Erscheinung zusammengebracht hatte, dort am runden Tisch, da wusste ich, Basil Schlupp, das ist der, der immer wieder einmal etwas behauptet, worüber die Leute dann reden. Was einem an so einem runden Tisch durch den Kopf saust, ist ja nur in Nano-Einheiten zu messen. Basil Schlupp, an den habe ich doch gedacht, als ich dem ebenso trägen wie faulen Professor H. beim Organisieren der Festschrift helfen musste. Ich weiß sogar noch, warum ich Sie in der Liste der Leute, die um einen Beitrag gebeten werden sollten, gestrichen habe. Festschriftbeiträger müssen Figuren sein, die allen gleichermaßen gefallen können. Darum sind Festschriften auch weniger spannend als Kriminalromane. Aber eben darüber, ob Sie allen gleichermaßen gefallen können, war ich nicht sicher. Also gestrichen! Ich hatte sogar noch überlegt, ob ich Strandhafer lesen sollte. Das war ja zum Modewort der Saison geworden. Aber dann las ich in einem Interview mit Ihnen, dass Sie angeblich selber darunter litten, zum Konversationsfutter der Saison zu werden. Ihr Buch sei im Meinungsverkehr reduziert worden auf ein paar Schlagwörter, die bei Ihnen so gar nicht vorkämen, gar nicht vorkommen könnten. Dass wir nämlich alle Strandhafer seien, Verzierung und Befestigung der Kulturwälle gegen die Barbarei, gegen die von innen wie von außen. Ja, ich fand das auch eher öde. Vielleicht haben Sie mir sogar leidgetan. Aber da Sie ja nun doch ein Problemstück und keine reine Lichtfigur waren, ist es Ihnen erspart geblieben, auf einen Einladungsbrief zu antworten, dass Sie leider, weil Sie mitten im nächsten Buch ruderten, nicht teilnehmen könnten. Dass schon ein nächstes Buch dran sei, stand auch in dem Interview. Sogar der Titel. Sternstaub . Dieser Titel hat mich ein bisschen berührt. Und jetzt sag ich noch den Satz von Ihnen, der in mir überlebt hat: Ja, ich habe ein Sachbuch geschrieben, aber es ist das Sachbuch eines Belletristen. Den Satz könnte ich ins Theologische übersetzen. Korbinians Lieblingssatz stammt von seinem Vorbild, dem großen Proteinkristallographen Robert Huber: Unser Unwissen wächst mit unserem Wissen. Das ist mehr als tröstlich. Ich vermehre, wenn ich Ihnen mehr mitteile, als ich will, Ihr Unwissen. Und Sie tun das auch. Ich stricke schon ganz schön mit an Ihrem raffinierten Unschuldsgewebe! Tatsächlich glaube ich an unsere Unschuld. Adieu.
    Maja Schneilin

6
    Liebe Frau Schneilin,
    dass man, obwohl man einander nicht kennt, so viel zu gestehen hat!
    Ihr erster Brief hat, was sich bei mir an Post der Zuneigung und Zustimmung angesammelt hatte, entwertet. Also in den Container damit. Jetzt ist sie wieder im Zimmer! Die Post. Ich hätte es ohnehin nicht ausgehalten, so viel zur Sprache gebrachte Empfindung zu vernichten, aber dann traf noch rechtzeitig ein Brief ein, der

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