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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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mich hinunterschickte und alles wieder einsammeln hieß. Es war einer jener Briefe, in denen mein Nicht-Antworten so verständnislos behandelt wird, wie es üblich und wie es verständlich ist. Dieser Brief hatte aber eine besondere Temperatur. Keine Satzzeichen und natürlich per Du mit mir. Und nahm zu an Vorwurfsheftigkeit und mündete schließlich im Unüberbietbaren: Ich brauch dich und sag nicht dass du dich auch brauchst weil ich bin wichtiger als du.
    Bitte, ich frage Sie nicht, wie ich diese Sprache beantworten soll. Ich habe sie mir durch Strandhafer zugezogen.
    Dass ich mehr zu gestehen habe als Sie, bedarf keiner Zählung mehr. Ihre Sätze, Ihre Wörter haben diese Wirkung, die ich beim ersten Hinfühlen magisch nannte. Vielleicht ist das ein Grund für Ihre Wirkung: dass Sie nichts wollen.
    Und habe gleich noch eine Korrektur anzubringen. Es ärgert mich, tut mir weh, dass ich an jenem runden Tisch mich so über den deutschen Wein ausgelassen habe. Der Satz, den ich oft genug sage, weil er oft genug angebracht ist, heißt: Das Leben ist zu kurz, um schlechte Weine zu trinken. Aber weil Sie am Tisch saßen und im Bann eines Hirnforschers immer wieder zierlich explodierten (dabei bleibe ich), musste ich einen Satz sagen, der Sie darauf hinweisen sollte, dass ich auch noch da war. Das hat er dann ja auch getan.
    Ich denke inzwischen in jeder Situation an Sie. Also nicht nur beim Schuhanziehen und Händewaschen. Wenn mir in einem Brief dergleichen aufgetischt werden würde, schriebe ich zurück, dass ich solche Mitteilungen nicht wünsche. Oder: Zweimal gurgeln pro Tag und abends Gymnastik.
    Von wem kam der Einfall, auf der Einladungskarte Kleidung: hell hinzuschreiben? Ich vermute, das war Ihre Idee. Sie dachten an Ihr fast weißes und doch überhaupt nicht weißes Kostüm, das aus Bändern geflochtene, in denen winzige Spuren Blau und Gelb vorkommen. Leinen mit Seide, ja? Iris hat sich sofort für das Ochsenblutrote entschieden, das mit seinen Achselklappen und Taschen und Gürtel ein bisschen militärisch wirkt. Schon durch den festen, glatten Stoff.
    Wenn ich in den Zeitungen lese, wie getötet wird, von Männern und von Frauen, wird nichts so deutlich, wie dass ich niemals jemanden töten könnte. Das produziert bei mir die Vorstellung, dass ich jemand bin, der nichts ernst meint. Warum aber habe ich gestern Nacht geträumt, ich hätte Iris getötet? Auf diesem Briefpapier kann ich unumschränkt wie nirgends sonst sagen, dass ich Iris liebe. Iris selber winkt ab, wenn ich zu so etwas ansetze. Winkt sozusagen lieb ab. Das heißt: Ist doch nicht nötig. Zwischen uns.
    In der letzten Nacht also: Ich tötete Iris. Wie, das kam nicht vor. Der Inspektor beugte sich zu der Toten hinab, wir sahen, dass die Tote nicht ganz tot war. Sie machte den Mund auf. Der Inspektor kniete nieder, fragte, wer es gewesen sei. Sie sagt, sie wisse es nicht. Und stirbt. Da bin ich aber froh. Und erwache und greife hinüber zu Iris und streichle sie lange.
    Ich habe Iris diesen Traum noch nicht erzählt, und Ihnen erzähl ich ihn! Wiederum: Man muss nicht alles, was man tut, auch noch begreifen. Ich kann Iris diesen Traum nicht erzählen. Noch nicht. Irgendwann schon. Wenn ich sagen kann: Vor ein paar Monaten habe ich geträumt … Träume sind das Brandaktuellste in uns. Dieser Traum ist ein Angsttraum. Etwas Schlimmeres ist nicht denkbar, vorstellbar. Aber warum habe ich Angst, dass es passiert? Doch nicht durch Sie! Und wie mich Iris noch erlöst – noch im Sterben sorgt sie dafür, dass ich unschuldig bin. Das wiederum entspricht unserer Ehe. Wenn sie sagt, sie weiß es nicht, dann war ich’s nicht. Ich war ja im Traum sofort von jedem Druck befreit. Iris bestätigt: Ich kann es nicht gewesen sein. Das ist die Logik des Traums. Zuerst träum ich, dass ich sie getötet habe, dann, dass ich’s nicht war. Der Traum widerlegt sich selbst. Dass er das tut, ist die Erlösung.
    Ihnen sag ich’s hin, Iris noch nicht. Das ist ein Verrat.
    Ihnen etwas mitzuteilen, was Verrat heißen muss, tut mir gut. Egal, ob ich Iris oder mich verrate, Ihnen gegenüber bin ich gern ein Verräter. Es bringt mich Ihnen näher. Sie können mir natürlich sagen, sobald ich zum Verräter werde, lesen Sie nicht weiter. Sie wollen nicht mitschuldig sein, dass ich zum Verräter werde. Sie gönnen mir die Lust nicht, Verräter zu sein. Ich dränge Ihnen dadurch eine Gemeinsamkeit auf mit Ihnen, die Sie nicht teilen, nicht gelten lassen, das verletzt Ihr

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