Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
kleinere Ludwig jetzt so neben ihm stand, dass er selbst als Sichtbarkeit nicht mehr in Betracht kam. Ludwigs starke Arme sind das Schönste an ihm. Seine Muskulaturen verselbständigen sich überhaupt nicht. Sie wirken nur wie eine Verdeutlichung seiner Körperlichkeit. Und eine große, vielleicht die größte Begabung Ludwigs: Er konnte Siege genießen. Das heißt, er machte aus allem, was er tat, Siege. Ganz schnell sagte er zwischen Suppe und Hauptgang noch, dass er US-Zero-Bonds gekauft habe, Kurs 82, kein Zins, aber nach zehn Jahren hundertprozentige Auszahlung, steuerfrei, während der Zins hätte versteuert werden müssen. Und hob schon das Glas und sagte: Prosit. Und Korbinian trinkt ihm innig zu, strahlt vor Stolz auf diesen Freund. Das eben ist seine Größe.
Dann also, vor zwei Jahren, nichts mehr.
Korbinian ließ nachfragen, nachforschen, Ergebnis: Die Firma Froh und Fäustle expandiert und expandiert. Druckt neuerdings in jedem Staat in Osteuropa. Der Besitzer führt operativ die Geschäfte. Und die Grals-Druckerei, Ludwigs Lieblingskind, ist nach wie vor unübertroffen im Kunstbuch-Druck.
Dann merkte ich, dass Korbinian seinen Freund und dessen Frau nicht mehr erwähnt haben wollte. Was muss es für Korbinian gewesen sein? Was muss es für ihn sein? Immer noch. Ich warte darauf, dass er den Namen wieder einmal erwähnt. Solange er diesen Namen nicht erwähnen kann, steht Ludwig zwischen uns als etwas Trennendes. Für mich war nur die Art und Weise dieses Aufhörens peinlich, unangenehm, provozierend. Mir fehlt Ludwig nicht. Korbinian fehlt er. Korbinian fährt die Große Jahres-Tour jetzt alleine. Obwohl, allmählich nimmt er mich auch schon mal mit. Ich finde Radfahren schöner, als ich gedacht hatte. Also zu den Seen weit um Berlin herum bin ich immer dabei. Aber Sils-Maria oder der Berg Athos bleiben mir versagt. Noch oder für immer, wer weiß?
Da Ludwig nicht mehr erwähnt werden kann, weiß ich nicht, wie Korbinian an ihn denkt. Dass er an ihn denkt, ist sicher. Ich habe mir eine Erklärung suchen müssen für diese Trennung. Meine Erklärung ist: Luitgard hat den Umgang mit uns verboten. Sie ist eine starke Person, und Ludwig ist unter anderem eben auch ihr Diener. Und das ist er gern. Einmal, am Timmendorfer Strand, war Luitgard bei der Selbstübung mit ihrem spitzen Absatz an Ludwigs Sehne entlang durch das Fleisch gefahren, bis ihr Absatz in seinem Schuh stecken blieb, er musste vom Arzt genäht werden, und abends überboten sie einander in der genussvollen Schilderung dieses blutigen und schmerzhaften Ineinanders.
Was ich über den Abbruch dieser Beziehung inzwischen denke, kann ich Korbinian nicht sagen. Noch nicht. Ich müsste ihm sagen: Wir sind für Ludwig und Luitgard nicht wichtig gewesen. Wir haben unsere Bedeutung für sie überschätzt. Maßlos überschätzt. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Aber diese Erklärung wäre für Korbinian eine Brutalität. Da ist vorzuziehen die Unerklärbarkeit.
Das Letzte, was Korbinian bei uns, Luitgard und Ludwig betreffend, getan hat: Er ließ alle Geschenke, die uns die beiden ins Haus brachten, sammeln und verpacken – all die Gläser und Figuren und Bücher und Teller –, er wollte alles zurückschicken. Dann hat er das nicht getan. Im Keller stapeln sich jetzt die Kisten mit den Prachtbänden der Grals-Druckerei. Was zwischen Sevilla und Kiew in Klöstern und Schlössern je gemalt wurde – Ludwig hat diesen Schätzen Techniken erfunden, die sie aussehen lassen, als seien sie gestern gemalt worden. Auspacken ließ Korbinian nichts mehr. Eingepackt ist alles jetzt wie für immer. Oder: für immer. Ich kann Korbinian nicht helfen, weil ich den Verlust, den er erlebt, nicht erlebt habe und nicht erlebe. Er würde es mir übel nehmen, wenn ich so täte, als könne ich sein Leiden mitleiden. Aber mir tut es doch weh, dass er leidet unter diesem Verlust. Und ich darf das nicht sagen. Dass Mitleid ein Gefühlsersatz ist, weiß ich seit dem.
So ist, wie Sie sagen, jeder allein.
Als Korbinian neulich am Heimkehr-Abend erzählte, dass er diesen Vertreter empfangen hat, der den Rolls-Royce unter den printing machines anbot, da habe ich erwartet, gefürchtet, gehofft, dass er von Ludwig, dem Herrn eines Druckimperiums, anfangen würde. Nichts. Hätte ich ihm helfen sollen? Über das Innerste des Nächsten wissen wir nichts. Aber wenn Leiden nicht teilbar ist, was ist dann teilbar?
Ihre
Maja Schneilin
10
Liebe zu sehr Abwesende,
zuerst
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