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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Berühmtheit. Die Wertungsrichter richten über Luitgards und Ludwigs Tanzleistungen, als sei Ludwig noch keine fünfunddreißig. Luitgard und Ludwig können keinen Wettbewerb gewinnen, aber dass sie trotzdem tanzen und wie, das rührt nicht nur alle, das macht aus ihren Auftritten immer wieder Sensationen. Publikum und Jury applaudieren sowohl gerührt wie enthusiastisch. Ludwig lässt es sich nicht ausreden, dass sein und Luitgards Ruhm bis nach Blackwood dringe, also ins El Dorado des Amateurtanzes, und dass Luitgard und er eines Tages die höchste Stufe des Amateurs erringen: den Auftritt in Blackwood. Tatsächlich habe ich nirgends sonst etwas so Heldenmäßiges erlebt wie in Ludwigs Tanz-Utopie. Auch wenn ihm Luitgard nach dem Turnier vorwarf, er habe wieder ein Gesicht gemacht, als wolle er die Wertungsrichter verspeisen.
    Am schönsten war’s immer am Timmendorfer Strand. Vormittags haben sie drei Stunden Training mit einem Weltranglistensiebten, nachmittags die Selbstübung, und abends durften Korbinian und ich die durch und durch Trainierten, die ganz und gar Weichen und Gelösten genießen. Außer den Tanzmeisterschaften gab es auch noch Luitgards Hof. Im ehemaligen Zonengrenzgebiet bei Eschwege hat sie sehr früh einen Hof gekauft, lässt den von einem italienischen Paar bewirtschaften und züchtet dort Hunde. Berner Sennenhunde. Zwei davon hat sie immer hier am Wannsee, die brachte sie immer auch zu uns mit. Es war erstaunlich, wie ruhig diese riesigen Tiere, die auch noch Othello und Aida heißen, durch unser Haus streiften. Sie wirkten wahrhaft neugierig. Überall schnüffelten sie hin, und ohne irgendetwas umzuwerfen. Am Anfang erschrak ich, aber dann gewann ich das Riesenpaar sogar lieb. Lucia, unsere Italienerin, floh jedes Mal die Treppe hinauf und musste von Luitgard heruntergeholt werden.
    Aber all das war natürlich nicht von Bedeutung, verglichen mit der Großen Tour der beiden Freunde. Alljährlich. Sie brachen immer in Adlershof auf und kamen dahin zurück. Was in den vierzehn Tagen und Nächten dazwischen geschah, erfuhren Luitgard und ich Wochen später auf der Leinwand. Korbinian ist nebenher ein mehr als eifriger Fotograf und Filmemacher. Was wir zu sehen bekamen, war viel mehr Ludwig als Korbinian. Eigentlich feierte Korbinian seinen Freund in allen Stellungen im Zelt, vor dem Zelt, in den schönsten Panoramen und Horizonten zwischen Neuschwanstein und Montblanc. Der zehn Jahre jüngere Ludwig hat deutlich weniger Haare als Korbinian. Wenn Korbinian versäumte, alle drei Wochen zum Friseur zu gehen, sagte Ludwig ungeniert: Mit kürzeren Haaren find ich dich besser. Luitgard wirkte, als komme sie, wenn sie zu uns kam, gerade aus dem Friseur-Salon. Sie trug ihre Haare, wahrscheinlich auch auf Ludwigs Wunsch, kurz geschnitten. Sie sah immer aus wie ein etwas dicklicher vierzehnjähriger Junge. Aber ganz sicher hätte sie durch keine andere Frisur so fein ausgesehen wie durch diese sie erhöhende Knaben-Frisur. Ludwig redete gern so, als habe er Luitgards Kleidungen entworfen. Sich selber führte er auf wie etwas Kostbares, Zerbrechliches. Trotz aller Muskulaturen. Sein Gesicht ist, könnte man sagen, eher fleischig, aber diszipliniert fleischig. Nichts hängt, alles prangt. Seine eher weichen Hände sind geradezu dafür geschaffen, dass er mit ihnen seine Schläfen berührt und uns darauf warten lässt, was er uns jetzt zu sagen hat. Korbinian scheute sich nicht, ihn zu bewundern.
    Es war ein Dreigestirn, das ich anzuschauen hatte. Ludwig machte es Spaß, Luitgards Pagen zu spielen. Aber nie mit schnellen, immer mit langsamen Bewegungen. Zelebriert eben. Und Korbinian wurde ganz von selbst der, der Ludwig bediente. Ich, die Zuschauerin, die Beifallspenderin. Ich glaube, ohne mich hätte das Trio sein Theater nicht spielen können. Dann auf einmal nichts mehr. Aus. Keine Nachricht. Keine Erklärung. Nichts. Und ich sehe sie heute noch schwimmen, am Timmendorfer Strand, die 500-Meter-Strecke, in Brustlage, neben einander, dann aber kraulend zurück. Auf dem Hinweg hatte sich Ludwig gezügelt, auf dem Rückweg kann er sich nicht mehr bremsen. In Rückenlage krault er davon. Das war immer ein Anblick, wie die langen Arme in vollkommener Ruhe gleichmäßig hochgingen und sich senkten und wieder erschienen. Und dann kamen sie beide lachend und Arm in Arm zurück zu Luitgard und mir. Korbinian war glücklich über seinen Freund, den Meisterschwimmer. Er konnte bewundern, wie der um einen Kopf

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