Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
eingenommen, dass er tatsächlich, wie wir nachträglich feststellten, die Schmuck-Busen-Orgie öfter gar nicht wahrnahm. Während ich andauernd vor Angst schwitzte, weil ich fürchtete, man sehe mir ununterbrochen an, wie ich mich bemühte, die Schmuck-Schau nicht wahrzunehmen.
Aber öfter als zwischen uns und denen kam es zwischen Luitgard und Ludwig zu Auseinandersetzungen. Zum Glück kam es oft genug zwischen Luitgard und Ludwig zu lautem Schreistreit, weil Luitgard, zwanzig Jahre jünger als Ludwig und seine vierte Frau, es nicht ertragen konnte, was Korbinian und ich klaglos ertrugen, dass Ludwig nämlich, so oft man einander sah, so redete, dass außer ihm niemand reden konnte. Allenfalls Fragen waren möglich. Und nebensatzlose Zustimmungen. Obwohl Luitgard, als wir die beiden kennenlernten, schon zehn Jahre Ludwigs Frau war, hatte sie es noch nicht aufgegeben, abends auch etwas sagen zu dürfen. Oft genug redeten beide gleichzeitig. Sie zu Korbinian, er zu mir. Eines der schönsten Talente Korbinians ist es zuzuhören. Er wirkt, wenn er zuhört, kein bisschen stumm oder geduldig, er wirkt ganz und gar interessiert oder sogar hingerissen. Auch ich musste immer wieder zugeben, dass ich Ludwig gerne zuhörte, und zwar endlos. Das lag daran, dass er sich selber so interessierte für das, was er erzählte. Und dass es für ihn so wichtig war, machte es dem Zuhörer auch wichtig. Wenn ich auch zugeben muss, ganz so entrückt wie Korbinian war ich nicht.
Luitgard spielte alles aus, was sie hatte, um auch zu Wort zu kommen. Ihr Alter, schonungslos. Und ihren Doktortitel, schonungslos. Ludwig hatte zwar studiert, dann aber war es ihm einfach zu blöde vorgekommen, Kunstgeschichte zu studieren, ohne etwas damit anzufangen. Und gründete die Grals-Druckerei. Und erst danach das, was ihn als Froh und Fäustle reich werden ließ. Aber er wusste sich zu wehren gegen Luitgards Versuche, sich zur Sprache zu bringen. Wenn sie, um dranzukommen, einfach schrie: Das gehört zum Schönsten, was ich je gesehen habe!, sagte Ludwig gefährlich milde: So, jetzt, sag’s uns bitte, was zum Schönsten gehört, was du je gesehen hast. Was Luitgard dann anzubieten hatte, war nach dieser Eröffnung und durch Ludwigs Einladung zur Lächerlichkeit verurteilt. Dann aber küsste er sie und sagte: Darum liebe ich dich, weil du so etwas schön findest.
Aber so wollte Luitgard nicht eingefangen werden. Dann erzähle sie uns etwas, rief sie, was diesem Herrn, sie hab’s erlebt, nicht gefallen hat. Puerto de la Cruz, mittendrin, plötzlich im Gewühl ein Freiraum, sie kommen hin und gehen zwanghaft vorbei. Sie wäre stehen geblieben. Er hat sie weitergezogen. Eine helle Setterhündin und ein schwarzer Spitz versuchen, auseinanderzukommen. Er zieht in die Richtung, sie will in die andere. Wahrscheinlich hat sie dieses Hängen in ihrem Geschlechtsteil, das ihn nicht mehr loslässt. Beide sehen aus, als wüssten sie, wie unglücklich ihre Lage ist. Sie bräuchten Hilfe, aber alle eilen vorüber. Und Ludwig und sie auch. Aber nur, weil Ludwig das will. Denn sie, als Züchterin, hätte natürlich gewusst, wo hingelangt werden musste, um der Hündin beizustehen. Also, wenn du mit einem prüden Mann verheiratet bist, kannst du im Süden praktisch nicht auf die Straße gehen. Das sagte sie so, um Ludwig zu reizen, und das gelang.
Plötzlich war er nicht mehr der, der die Sätze lenkte wie einer, der ein Gespann mit acht Pferden dirigiert. Man spürte, dass er glaubte, sich verteidigen zu müssen. Und sich verteidigen müssen, das macht jeden schwach. Er sei schon als junger Mensch im Süden gewesen, sagte er. Er sei ja nicht schwul, aber dass der Schwule viel weniger verklemmt sei als der Nichtschwule, sei bekannt. Und redete drauflos und verteidigte sich dagegen, als schwul zu gelten, obwohl niemand behauptet hatte, dass er schwul sei. In jedem zweiten Satz kam jetzt vor: Ich bin ja nicht schwul. Aber als junger Mensch sei er natürlich auch nach Marokko geflogen und habe sich dort nicht nur Ziegenleder-Jacken mit Fransen, sondern auch die Hepatitis geholt, die dort auf jeden Schwulen wartet. In seiner Bude, dann vollgestopft mit Basar-Kram, habe es ausgesehen wie in einem marokkanischen Schwulen-Puff.
Sein Reden diente nur noch dazu, Sätze zu sagen, in denen schwul vorkam, und dass er das ja nicht sei. Ich musste darauf sagen: Schade. Tatsächlich war mir dieses Thema, immer wenn wir zusammen waren, unterbelichtet vorgekommen. Ich hätte gern
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